An und für sich

Die Hoffnung hier: "Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen."

Zeitung: Totgesagt und digital reanimiert

Digitaler Durchblick ?  Augmented Weser Kurier

Digitaler Durchblick ? Augmented Weser Kurier

Er war irgendwie immer für mich da, meistens jedenfalls: Seit Jahrzehnten hole ich morgens den Weser Kurier aus dem Briefkasten. Als Leser habe ich mich vor allem übers Regionale informiert, mich geärgert und mich gefreut. Geschrieben habe ich selbst auch für das Blatt. Ab und zu hat der WK früher sogar über mich berichtet, mal hui, mal pfui. Unser Verhältnis ist also traditionell, kritisch und solidarisch.

Jedenfalls kann mich nach all den Jahren meine Zeitung eigentlich nicht mehr überraschen. Oder vielleicht doch? Der Weser Kurier macht seit einigen Wochen in „Augmented Reality“. Sie erweitert die Lektüre des Blattes um Informationen aus einer App. Wer die hat, kann mit seinem Smartphone zu betimmten Artikeln Grafiken, Videos und Töne abrufen. Also lasse ich es auf einen Selbstversuch ankommen.

Es spricht weder etwas für diesen 8. Oktober 2013 noch dagegen. Also dann los.  Neben der Zeitung brauche ich mein kleines Mobile, ein HTC One V (so etwas wie der Damenrevolver unter den Smartphones), die „Weser Kurier Live-App“, ein vernünftiges Internetz sowie einigermaßen Licht. Die morgendlich trübe Beleuchtung der Küche wirkt atmosphärisch schön, scheint technisch aber grenzwertig.

Besonders wichtig ist jedoch körperliches  Geschick. Die Zeitung in die rechte Position rücken, dann das kleine blaue Zeichen neben dem Artikel scannen und aufs Ergebnis warten. Nebenbei Kaffee trinken ginge. Brötchen schmieren dagegen würde die Verbindung von Frühstücksrealität und Informationsvirtualität kappen.

Da ist sie auch schon, die versprochene Grafik: Es handelt sich um eine Karte, auf der Standorte von Radarfallen der Polizei in der Stadt dargestellt sind, als Ergänzung zu einem Bericht über die Aktion zur „Großkontrolle gegen Raser“.

Im Lokalteil wird der Aufmacher zum Semesterstart an der Bremer Uni durch ein Video ergänzt. Tatsächlich, „die Zeitung beginnt zu leben“, wie die Chefredakteurin des Weser Kurier, Silke Hellwig, in einem Interview versprochen hatte. Das Zweiminutenstück ist handwerklich solide gemacht und bringt einem die Lage der Studierenden gefühlsmäßig etwas näher.

Nach dem Umblättern erhalte ich die Möglichkeit, mit dem blauen Link der Augmented Reality direkt im Onlineshop der Zeitung einzuchecken. Dort könnte ich dann für 9 Euro 80 ein Set mit 23 Luftbildaufnahmen der Stadt im Postkartenformat bestellen. Darauf verzichte ich, wiewohl ich zu schätzen weiß, dass sich der Fotojournalist für sein Projekt einem Tragschrauber anvertraut hatte. Einen ganz leichten Hubschrauber also, der aber irgendwie keiner ist und auch keine Drohne.

Ich überfliege die Zeitung weiter und lande auf dem nächsten blauen Symbol erweiterter Zeitungswirklichkeit. Als besondere Empfehlung spricht sich die Kulturredaktion für das Tanztheaterstück „Penguins & Pandas“ aus. Mit dem Smartphone kann ich nun die Veranstaltungsdaten direkt in meinem Terminkalender eintragen. Das ist verblüffend praktisch.

Schließlich spricht noch der frisch gekürte Nobelpreisträge Thomas Südhof zu mir, allerdings in einem leicht rätselhaften und verzerrten O-Ton. Offensichtlich geht es um seine deutsche Staatsbürgerschaft oder Nicht-Staatsbürgerschaft oder so ähnlich. Etwas hilfreicher ist da möglicherweise eine Grafik, die den molekolaren Versikel-Transport erklärt. Allerdings ist sie für mich schwerer zu konsumieren als es vermutlich die gedruckte Fassung der dpa-Grafik gewesen wäre.

So drängt sich beim Projekt Augmented Reality manchmal der Eindruck auf, dass Zusatzinformationen der App solche sind, die man vorher einfach im Blatt weg  gelassen hat. Aber schließlich sind wir noch im Experimentier-Stadium. Nur Versuch macht wirklich klug.

Einige Ideen haben durchaus Potenzial, sind nützlich wie die Terminfunktion oder aufschlussreich wie der Videoclip zur Lage der Erstsemester. Insofern „erweitert“ die Zeitungs-App des Weser Kurier die Wirklichkeit des Lesers durchaus mit Hilfe digitaler Möglichkeiten.

Allerdings lässt sich das englische Wort „augmented“ auch mit „übermäßig“ übersetzen. Ich habe mich, vermutlich altersbedingt, beim Zeitungs-Scannen manmal ungeschickt angestellt. Deshalb weiss ich auch nicht, ob ich den Aufwand der Smartphone-Akrobatik bei jedem Frühstück auf mich nehmen werde. Vielmehr: Ich weiss, dass ich das nicht tun will.

Mein Haupt-Augenmerk gilt dem Informationsgehalt der Zeitung. Die Form hat dem Inhalt zu folgen. Vor allem wäre es schade, wenn vor lauter Technisierung des Journalismus noch weniger Zeit für die Arbeit am Content übrig bliebe. Das ist eine alte Redakteurssorge im digitalen Wandel. Sicher auch die Sorge alternder Redakteure angesichts einer Entwicklung, die nicht mehr umzukehren ist.

Schön ist es jedenfalls, sich mit einem Medienthema auseinandersetzen zu können, das einmal nicht lautet: „Die Zeitung stirbt aus diesem oder jenen Grund“. Sie wandelt sich halt. Papier ist geduldig. Und Abonnenten sind es auch.

 

 

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Nach der Wahl: Die Ichs und das Wir

 

Zwischen Baum und Knorke: Sieg für Merkel

Zwischen Baum und Knorke: Sieg für Merkel

Die Plakate werden jetzt abgeräumt, wahlwerbende Wortfetzen schweben noch durch den Raum. Bleiben wir in der Logik der Polit-PR: Das „Wir“ hat entschieden und das Ego gewonnen: Angela Merkel bleibt Kanzlerin. Vor allem sie haben die Bürgerinnen und Bürger gewählt. Hoffnung auf eine Vertrauensperson, verbunden mit wohlerwogenes Eigeninteresse: „Mir geht es gut mit ihr“. Entschieden hat also eher das Wir-Gefühl als die Sorge um das soziale Miteinander.

Aber das Ergebnis von BTW13 ist kompliziert. Niemand kann jetzt allein regieren. Auch wenn die SPD das falsche Ego an der Spitze hatte, den richtigen Gedanken des „Wir“- des gesellschaftlichen Zusammenhangs jenseits des wirtschaftlichen Erfolges –  kann sie nun trotzdem politisch umsetzen. Teilweise wenigstens, in Verhandlungen um eine große Koalition.

Denn die Zeit der Überspitzungen ist vorbei. Nach den Wahlschlachten wird nun medial abgerüstet. Vielleicht noch ein bisschen auf Kadavern wie der FDP und den Piraten herumgehackt und hoffentlich noch weiter an die Themen der politischen Auseinandersetzung erinnert.

Vor allem aber wird es spannend, mit wem sich das strahlende Ich der Siegerin umgeben wird. Angela Merkel hat die Wahl gewonnen und ihre Regierungsmehrheit verloren. Nun muss sie sich um einen Koalitions-Konsens bemühen. Das Wir siegt am Ende dann doch irgendwie mit.

 

Zur Wahl: Das Wir oder das Ich

 

Die Wahl im Wir und Jetzt.

Die Wahl im Wir und Jetzt.

Ist die Wahl egal? Immer aufwändiger und aufdringlicher werden die Appelle zum Mitmachen beim Demokratie-Event mit Angie und Peer. Dennoch verharren die Zweifel  an Personen und Programmen im medialen Raum. Da hilft jetzt nur noch eine Reduktion aufs Wesentliche, eine tatsächliche Alternative. Mein Angebot: „Das Wir oder das Ich“.

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Sehen, hören und gruseln – „Darknet“

Ein übermotiviertes Mitglied der Piratenpartei hat gerade mit einer Drohne die Fünf-Prozent-Hürde unterflogen und das Gerät vor den Augen der Bundeskanzlerin abschmieren lassen. So kurz vor der Wahl versuchen viele, uns den Ernst der digitalen Lage klar zu machen. Aber das geht auch ohne Bruchlandung:  Die neue Deutschland-Augabe der Online-Plattform „Motherboard“ zeigt das mit einer Web-TV-Dokumentation namens „Darknet“.  Sie offenbart uns die kryptographisch verborgene, unzensierte Internet-Welt des Deep Web oder Hidden Web. Ein schrecklich interessanter Film.

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Produziert wurde das Stück – das ebenso bei der BBC oder in der ARD laufen könnte – vom deutschen Ableger des angesagten Unternehmens „Vice“. 1994 in Montreal als Gratismagazin gegründet, bezeichnet es sich selbstvermarktend inzwischen als „internationales Medienimperium“, mit diversen Vertriebskanälen, vom Verlag bis zur Website. Musik, Mode, Kunst und Kultur bilden die Themenschwerpunkte. Aber auch investigative Stories und Technik gehören zum Angebot. „Ein neues Sprachrohr für eine neue Generation“ will Vice sein.  Ist es vielleicht sogar schon.

Tom Littlewood leitet als Chefredakteur die deutsche Ausgabe. Und  er macht als Presenter der Reportage Darknet nach all den theorielastigen Debatten über Snowden und die NSA das einzig Richtige: Littlewood reist dorthin, wo es weh tut. In einen dunklen Raum, in dem raffinierte Verschlüsselungstechnik allen Nutzern zweierlei zusichern: Anonymität und Straffreiheit. Diese verborgene Welt soll mindestens Tausend mal größer sein als das normale Internet, das wir über die Suchmaschinen kennen. Seine Bewohner sind Freaks und Freiheitskämpfer.

Ich bin etwa doppelt so alt wie die Vice- bzw. Motherboard-Zielgruppe und möglicherweise hat mich deshalb geradezu verstört, wie sich der Reporter mit Hilfe eines Fachmanns in einen offensichtlich riesigen ungezügelten Markt einloggt. Wo sich harte Drogen bestellen lassen wie bei Amazon Bücher. Wo Feinmechaniker nach Feierabend zurechtgefeilte Schusswaffen anbieten. Wo nette Onkels nach geeigneten Betäubungsmitteln für die minderjährige Nichte fragen. Darknet eben.

Dann aber die verblüffende Wende im Film: Der iranische Journalist Ehsan Norouzi schildert hautnah, wie überlebenswichtig ein Kommunikationsmittel ist, das die Staatsmacht nicht überwachen, also beherrschen kann. Ironischer Weise basiert das Hidden Web auf militärischer Technologie. Doch nun wenden Hacker die Verfahren an, um gesicherte Freiräume zu schaffen. Um verlorene Privatsphäre zurück zu erobern. Der Gründer von Torservers.net, Moritz Bartl, sieht sich denn auch als „Kämpfer für das Menschenrecht, auch gegen die Gesetze in einigen Ländern.“

Schnörkellos und schonungslos stellt die Dokumentation die beiden Seiten des Digitalen Freiheitskampfes nebeneinander. Ein Urteil fällt sie letztlich nicht. Eher lakonisch wirkt der Kommentar von Tom Littlewood: Das Internet sei weder gut noch schlecht, sondern einfach sehr mächtig. Wer der übermächtigen Überwachung von Staat und Konzernen entkommen wolle, dem bliebe nur das Darknet, mit all seinen Schattenseiten. Schließlich hätten wir selbst die Wahl:

Do we want the devil we know or the devil we don´t ?

Zum Teufel, was ist das bloß für eine Alternative? Genauso wie den iranischen Dissidenten, so schützt das verborgene Netz eben auch den perversen Onkel. Diese heillose Entscheidung steht an, weil wir staatlicher Macht nicht mehr vertrauen können. Weil wir Angst vor datenfressenden Unternehmen haben müssen, die unsere Träume schon kennen, bevor wir eingeschlafen sind.

Der coole Tom Littlewood hat vermutlich recht mit seinem Realismus – aber er darf nicht recht behalten. Das kann es noch nicht gewesen sein! Also erst mal im dunklen Wald pfeifen, schlage ich vor. Etwa so: Gerade durch Filme wie „Darknet“ entsteht wohl erst ein allgemeines Bewusstsein. Das wäre der erste Schritt auf einem dritten Weg zwischen den Highways to Hell.

Entmündigung für Selbstabholer

Buchtipp mit ausnahmsweise erhobenem Zeigefinger

Buchtipp mit ausnahmsweise erhobenem Zeigefinger

Es gibt Texte, die einen sehr aufregen. Nicht etwa, weil alles darin so neu oder provokant wäre. Sondern wegen ihrer schlichten Wahrheit und Klarheit. „Daten, Drohnen, Disziplin. Ein Gespräch über flüchtige Überwachung zwischen Zygmunt Bauman und David Lyon“, das ist für mich so ein Buch. Vor kurzem erst erschienen, könnte der Titel wie ein schnell zusammen gekloppter Kommentar zu Edward Snowdens Enthüllungen und der Diskussion um Spionage und Big Data wirken.

Aber dafür hätten sich die beiden Wissenschaftler wohl kaum hergegeben. Der Soziologe David Lyon von der Queen´s University in Kingston / Kanada gilt als einer der führenden Experten für Überwachung. Vom polnisch-britischen Soziologen und Philosophen Zygmunt Bauman stammt der Begriff „Liquid Modernity“. Kein Ausdruck beschreibt meiner Meinung nach so treffend die Verhältnisse des Digitalen Zeitalters.

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Grau ist geil – Lob der Differenzierung

Auch nicht schlecht: Grauzone

Auch nicht schlecht: Grauzone

Auf so einen Satz aus berufenem Munde habe ich lange gewartet: „Die demokratischen Werte einer digitalen Gesellschaft entstehen nicht von allein dadurch, dass eine Demokratie immer digitaler wird.“ Damit mutet ein Sascha Lobo sich und der Netzgemeinde harte Kost zu. Graubrot gewissermaßen. In einer Zeit zugespitzter Schwarzweiß-Debatten differenziert der SPON-Kolumnist. Dafür will ich jetzt Lobo loben.

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Think positive – Goldene Zeiten

Die Welt ist mein Feld

Die Welt ist mein Feld

Die fetten Jahre sind vorbei. Jetzt kommen die goldenen. Wenn uns der Optimismus für das Digitalzeitalter auszugehen droht, dann hiflt immer ein Blick in die USA. Während hierzulande Sorgen vorherrschen, ruft der Wirtschaftsexperte Henry Blodget auf CNN das „Goldene Zeitalter des Journalismus“ aus. Seinen nachgeschobenen Blogpost zu lesen, lohnt sich, weil er den Aphorismus von Kurt Tucholsky bestätigt: „Alles ist richtig, auch das Gegenteil.“

Den Zeitungen mag es schlecht gehen, schreibt Blodget, Chef, des Online-Magazins Business Insider. Krisen seien immer schmerzhaft, aber dem Journalismus sei es nie besser gegangen als heute. Seine Perspektive ist dabei die des freien Unternehmers, der sich nicht an Risiken orientiert, sondern an Chancen. Auch wenn Tucholsky das vermutlich nicht so gut fände, will ich die knackigen Thesen in ein abwägendes „Sowohl als auch“ einbetten, quasi als Übersetzungshilfe aus dem Amerikanischen ins Skeptische.

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So lebendig kann Zeitungssterben sein

 

„Wir müssen reden!“ lautet ja eine softe Floskel, wenn es Probleme gibt. Das medienfachliche „Digitale Quartett“ hat dies im Web getan, indem es sich zu einem Oktett erweitert hatte. Mit dem Newsroom-Leiter Bülend Ürük, dem Online-Chef der Rhein-Zeitung (Koblenz), Marcus Schwarze, dem Schweizer Autoren Constantin Seibt sowie mit Cordt Schnibben vom SPIEGEL. Er hat die aktuelle Debatte über die Zukunft des Printjournalismus angestoßen. Mit der Ulrike Langer, Richard Gutjahr, Daniel Fiene und Thomas Knüwer haben sie geredet. Und das war gut so. Spannend und aufschlussreich. Ein Web-TV-Tipp.

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Blinde Flecken einer Diskussion

Eine Woche nach Erscheinen der SPIEGEL-Story „2020 – Zeitungssterben“ gibt es gerade medienbranchenintern eine Debatte über die Debatte. Eitel, vorhersehbar und oft lösungsfrei seien viele Beiträge gewesen. Mir dagegen erscheint die bisherige Diskussion zu gehaltvoll, um Zicken-Alarm auszulösen. Könnte ich ja auch gar nicht. Mein Alternativ-Angebot: Als (Zwischen-) Bilanz auf ein paar blinde Flecken aufmerksam machen. Aspekte also, die unterbelichtet werden, vielleicht weil sie so offenkundig sind.

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Wir sind dann mal weg – Zeitungstod

Krisenszenario

Krisenszenario

Dieser Sommer eignet sich wohl ideal für hitzige Mediendebatten. Kaum eine Chance, kühlen Kopf zu bewahren. Jetzt stirbt auch noch die Zeitung. Mal wieder. Die einen wollen die Zeitung wiederbeleben, die anderen tragen sie zu Grabe. Für beide Positionen gibt es berechtigte Argumente. Rechthaberei wird allerdings der Debatte kaum gerecht. Geht es doch um den richtigen Weg in eine Zukunft, die keiner kennen kann. Was außer dem Verleger der Washington Post bislang allerdings kaum jemand zugeben mag. Das ist ein Problem. Nun müssen ganz offensichtlich Internet-Unternehmer  als „Sugar Daddies“ den Journalismus retten. Noch ein Problem.

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