Digitale Türsteher

Im Dialog mit dem Troll (Quelle: Wikimedia)

Im Dialog mit dem Troll (Quelle: Wikimedia)

Dem Hass keine Chance! Oder wenigstens nicht mehr so viel Platz. Stefan Plöchinger, Mitglied der SZ-Chefredaktion und eine der Leitfiguren im deutschen Online-Journalismus, will die Kommentarkultur im Netz neu denken, auch durch Jagd auf Trolle, die Haßprediger des Webs. Das ist verdienstvoll. Und gleichzeitig heikel. Weil so ein Vorhaben Sand in das Getriebe der Illusionsmaschine Internet streut.

Sicher – weder ist der Befund neu, noch kann Plöchinger eine fertige Lösung auf den Tisch legen. Aber wenn ein so anerkannter Onliner ankündigt, bei sz-online über einen neuen Grundriss im digitalen Diskussionsraum nachzudenken, dann hat das Gewicht. Vielleicht finden sie dort am Ende ja tatsächlich einen dritten Weg zwischen Weggucken und Zensur bei eskalierenden Kommentaren auf ihren Seiten.

Unabhängig vom Ergebnis wirft Plöchingers Initiative eine der spannendsten Fragen des digitalen Wandels neu auf: Was heißt das eigentlich, „Nutzer ernst nehmen“?

Ihnen stets nach dem Munde reden und dann beobachten, wie sie auf Themen beziehungsweise aufeinander los gehen? Oder bedeutet „User beim Wort nehmen“, diese auch mal für Regelverstöße zur Verantwortung zu ziehen? Den Debattenraum pflegen und dabei auch mal ausmisten?

Verdammt heikle Fragen für Medienmacher. Mit der Erfolgsgeschichte des WWW und dem Verlust des so genannten „Gatekeeper-Privilegs“ hat sich die Unsicherheit der Journalisten über ihre Rolle jedenfalls verstärkt. In etwa dem gleichem Maße wie der Anspruch bestimmter Teile des Publikums auf Mitwirkung am Journalismus gestiegen ist.

Plöchingers Mission, diese Beziehung neu zu denken, ist deshalb heikel. Anspruch und Wirklichkeit passen auch im Digital-Zeitalter nicht richtig zusammen. Denn wie auch immer die Lösung aussehen mag, sie muss zum Abschied von gleich zwei Illusionen über das Internet führen:

1. Das große Beteiligung-Versprechen: Diskussionskultur ergibt sich nicht einfach von selbst.

Wegschauen heißt zu oft Aufgeben. Wer ein publizistisches Produkt – und damit auch die dabei mit veröffentlichten Kommentare – verantwortet, wird irgendwann in die Kommunikation eingreifen müssen. Wenn sich Onliner also vorstellen, mit ihren Nutzern im „Salon“ einen kultivierten Dialog führen zu können, dann müssen sie manchmal sogar digitale Türsteher beschäftigen. Um mal das Wort „Gatekeeper“ zu vermeiden.

2. Das große Effizienz-Versprechen: Dialog bedeutet einen hohen Aufwand.

Wer für die Möglichkeiten umfassender Beteiligung wirbt, wer zunehmend kritische Kunden mit speziellen Angeboten locken will und wer ein niveauvolles Diskussionsumfeld schaffen will, verbraucht dafür Ressourcen. Die Zuwendung zum Nutzer ist mehr als ein technischer Automatismus. Qualifiziertes Personal muss sich diesem Prozess zuwenden. Ein spannender und abgründiger Umstand bei jedem Geschäftsmodell, das mit Inhalten arbeitet.

Viele Debatten wie die über den Umgang mit Nutzer-Kommentaren zeigen jedenfalls: Wir sind auf dem – oft ernüchternden – Weg in die Normalisierung. Nach dem Rausch der Möglichkeiten und dem Erschrecken über den Missbrauch geht es in dieser Phase der Medienentwicklung um das menschliche Maß eines Wandels, der bislang vor allem von Technik und Wirtschaft getrieben wurde. Und von Übertreibungen begleitet.

Was nichts Ungewöhliches ist. Aber jetzt muss es darum gehen, den Kreislauf aus übertriebenen Erwartungen und unhaltbaren Versprechen zu beenden. Das Verhältnis Journalisten-Publikum kann davon nur besser werden.

 

 

 

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  1. […] Als Konsequenz verlangen manche Medienangebote nun Eintrittsgeld für den Meinungsraum. Exklusive Salon-Öffentlichkeit […]

  2. […] Effekte heutzutage digital verstärkt. Außerdem leben wir in Zeiten, in denen jeder mittelbegabte Troll  sofort eine Weltverschwörung argwöhnen würde, wenn dergleichen bei den Themen Ukraine oder Gaza […]

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