Empirisch, technisch, parteiisch, logisch

Medienlogiker, aber kein Journalist: Rezo

Konferenzbeobachtungen 2019 – schon jetzt das Jahr zwischen Untergang und Aufbruch: Angesichts von Klimakatastrophen wie in Venedig rechnet die junge Generation mit den Alten ab: OK, Boomer. Auch die Zukunft des professionellen Journalismus scheint unkalkulierbar – egal oder agil?Anlass für diese vorgezogene Bilanz ist der Besuch auf einer Versammlung von Branchenleuten und interessierten Laien. Der wuchtige Titel: „Formate des Politischen: News ohne Journalisten – wird der Journalismus aus der Öffentlichkeit verdrängt?“ Um diese Frage solide beantworten zu können, gilt es, eine schwierige Voraussetzung zu erfüllen: Man muss das Internet verstanden haben.

Insofern gleich ein Geständnis: Hallo, ich bin der Dirk und habe das Internet nicht verstanden. (Beispielsweise kapiere ich nicht, warum mir auf Twitter – mehrmals und offensichtlich gezielt gesponsert – der Transport-Hubschrauber Chinnook C-47 angepriesen wird.). Daher ist alles, was jetzt kommt, begründete Spekulation eines Unerleuchteten.

Obwohl – eines habe ich doch begriffen, nämlich, dass niemand das Internet verstanden hat. Und dass es bei der Phrase vom Verstanden haben im Grunde um etwas recht Banales geht: Um die Deutungshoheit in der Digitalen Gesellschaft. Um Disktinktion. „Ich bin drin.“ Oder eben nicht.

Viele Medienschaffende bangen jedenfalls um ihre Zukunft. So auch auf der alljährlichen Konferenz von Deutschlandfunk und Bundespressekonferenz unter dem Hashtag #Formate19. Typisch für die Lage war allein schon der Titel: „News ohne Journalisten – wird der Journalismus aus der Öffentlichkeit verdrängt?“ Zunächst einmal zeigt das die Existenzsorgen der Akteur/-innen, dann aber auch ein Missverständnis der Lage. Denn es ist durchaus wahrscheinlich, dass es weiterhin journalistische Öffentlichkeit geben wird. Weniger gewiss erscheint allerdings, ob sie noch von herkömmlichen Journalist/-innen hergestellt werden soll.

Seit einigen Jahren erforsche ich mit wissenschaftlichen Anspruch meinen Beruf. Was aus zwei Gründen äußerst schwierig ist: Erstens kann niemand sagen, was unter Journalismus allgemeinverbindlich zu verstehen ist. Zweitens darf niemand exklusiv festlegen, wer Journalist/-in ist. Klar, auf ein paar basics  kann man sich einigen: Gesellschaftliche Relevanz, Regelmäßigkeit, Publizität und Aktualität. Öffentlichkeit „herstellen“.

Aber im Prinzip war, ist und bleibt Journalismus eine performative Profession. Es geht also um eine journalistische Haltung, die sich immer wieder zwischen Können und Anerkennen erneuern muss. Akzeptierte Leistung gewissermaßen. Beides steht in einem Wechselspiel, über das stets Praxis das letzte Urteil fällt. Mit diesem habituellen Analyseraster habe ich die Konferenz Formate 19 betrachtet. Das Ergebnis schildere ich nun in exemplarische Beobachtungen von einer lohnenswerten Veranstaltung.

Können: Mehr am Puls des Publikums

Weil die Tagung im alleits bekannten Raum der Bundespressekonferenz stattfand (Jede/r hat die Tagesschaubilder der täglichen BPK vor Augen: Bedeutendes vor blau gestrichener Wand.), ging es um den politischen (Hauptstadt-) Journalismus. Das erste Panel setzte sich gleich mal mit der Frage auseinander, ob der Journalismus denn verdrängt würde.

Die Antwort des Vorsitzenden Der BPK, Gregor Mayntz, hörte sich eher nach psychischer Verdrängung an. Er bleibe Optimist, denn sein Beruf werde ja immer gebraucht. Ganz im Sinne des gelassenen alten Fahrensmannes argumentierte Mayntz: Früher habe mit auf der Schreibmaschine gearbeitet, dann eben jetzt mit dem Smartphone. Für ihn bleibt sich offenbar alles anders.

Die Augsburger Kommunikationswissenschaftlerin Paula Nitschke sah das etwas nüchterner: Mittlerweile sei das „mediatisierte Modell“, also die Vermittlungsposition des Journalismus zwischen Publikum und Polit-Akteur/-innen, stark erodiert. Da gäbe es im Netzzeitalter zunehmend Direktverbindungen, die insbesondere von jungen Mediennutzer/-innen gewollt seien. Social Media vor allem bedient quasi die Sehnsucht nach Erzeugerabfüllung von Informationen.

Hanne Detel, Kommunikationswissenschaftlerin an der Uni Tübingen, setzte noch einen drauf. Mit fröhlich positivistischem Schwung pries sie die Vorteile der Netz-Metriken. Die digitale Vermessung der Publikumswelt eröffne ganz neue Möglichkeiten, die Bedürfnisse der Kundschaft kennen zu lernen. Journalist/-innen seien da oft noch zu pessimistisch eingestellt. Inwieweit die wohlgeplante Customer Journey allerdings auch mal zur Geisterfahrt werden könnte – Stichwort Populismus oder Kommerzialisierung– blieb etwas im Ungefähren.

Was nun sollten Journalist/-innen heute also können? Vorläufger, mäßig überraschender Eindruck: Immer mehr, denn sie müssen ständig dazu lernen, vor allem: audience-empirisch und tool-technisch.

Anerkennung: Eher nicht selbstverständlich

Bei #Formate19 trafen professionelle, eher verunsicherte Journalist/-innen auf Fachwissenschaftler/-innen, allgemeines Publikum – und auf die kraftstrotzende Konkurrenz. Etwa in Form des YouTubers Rezo, der sich im Mai  einfach mal zum Medium gemacht und damit Polit- und Kommunikationsprofis in tiefe Verwirrung gestürzt hatte. In Berlin stand er im Zentrum eines eigenen Panels, des „coolsten“, wie die Moderation betonte.

Mit dem Chefkorrespondenten des Deutschlandfunks, Stephan Detjen, lieferte sich der videozugeschaltete Rezo einen aufschlussreichen Dialog. Detjen warf dem YouTuber Polemik in seinem Millionen-Clip zur „Zerstörung der CDU“ vor. An den darin enthaltenen Fakten habe Detjen keinen Zweifel. Nur sei es einseitig und er könne keine argumentative journalistische Abwägung erkenne.

Rezo fegte die Argumentation mit einem verblüffenden Hinweis weg: Für ihn habe es keine Bedeutung, ob man sein Tun nun als „Journalismus “ bezeichne. Seine Argumentation sei schnörkellos klar gewesen, ganz im Sinne der Mathematik, von der er komme. Standards wie die Trennung von Kommentar und Nachricht oder  abwägende Vollständigkeit- nicht sein Ding, weil überflüssig:

Da kommen wir einfach aus zwei verschiedenen Ecken, glaube ich. Ich hab‘ das gemerkt, im letzten halben Jahr, dass Leute, die aus der Presse kommen, dieses Vollständigkeits-Ding ganz anderes empfinden als Leute, die aus der Logik kommen.

Nerd Attac: Die Digitalisierung basiert sehr weitgehend auf formaler Logik, Sie ist mathematisch mit Zahlenwerten grundiert, nicht mit standesethischen. Irgendwie sah Detjen, der renommierte Hautstadtkorrespondent, in dieser Szene sehr alt aus. Rezo dagegen, der High Potential, intelligent und  von hohem Präsentationsgeschick, kam keine Sekunde aggressiv rüber. Das verringert allerdings nicht die Brutalität seiner Botschaft: Journalismus als Etitkett ist irgendwie egal.

Verstärkt wurde dies noch durch Stefan Schulz vom Mokanz-Podcast „Aufwachen“. Seine publizisitische Selbstbeschreibung bestand, wie bei Rezo, aus einer seltsam vereinnahmenden Distanzierung. Man könnte das als journalistische Verwischtechnik bezeichnen. Dann auf der einen Seite betreibt Schulz, der ausgebildete Zeitungsjournalist, zusammen mit Tilo Jung (jung&naiv) – und gelegentlich dem langjährigen ARD-Hauptstadtkorrespondenten Hans Jessen – ein medienkritisches Audioformat. Für immerhin 70.000 Hörer/-innen. Andererseits will er dies partout nicht als „Journalismus“ bezeichnet wissen. SeinPodcast hätte die Perspektive der „freien Meinung des Bürgers“ und stünde „auf der Seite des Publikums“. Das hat etwas Befreiendes für den Produzenten, etwa von journalistischen Sorgfaltspflichten.

Wie sieht es nun mit der Anerkennung von Journalist/-innen aus? In der jungen Generation eher schlecht, jedenfalls wenn es um „klassische Standards“ geht. Die Zukunft wäre demnach logisch und parteiisch.

Exkurs: OK, Boomer: Generationskonflikt ums Klima

Rezos dezenter Hinweis auf die zwei Ecken, aus denen junge Netzaffine und analoge Althergebrachte kämen, kommt noch in einer anderen Formel auf dem Punkt: “OK Boomer“. Mit dieser Bemerkung bremsen Millenials & Co zunehmend häufiger die Elterngeneration in Social-.Media-Debatten aus. Sie bedeutet in etwa: „Haltet bloß die Klappe. Die Probleme wachsen Euch über den Kopf und fallen uns dann auf die Füße.“

Wenn junge Eliten ein Thema so bewegt, dass sie etwas bewegen wollen oder müssen, dann entstehen Generationen im soziologischen Sinne. Grob gesagt, geht es darum, prägende Ereignisse zu verarbeiten und sich dabei von anderen, vor allem, den Alten abzugrenzen. Genau dafür steht Rezo als Symbolfigur in der Medienwirklichkeit. Das zugrunde liegende, generationsformende Ereignis ist der menschengemachte Klimawandel. Das Jahrhunderthochwasser in Venedig liefert dazu derzeit ein überragend schaurige Supersymbolbild.

Denn bei dem Desaster, dessen Folgen wir erst nach und nach absehen können, handelt es sich nicht um eine Naturkatastrophe. Auch wenn sich der Bürgermeister der Stadt, Brugnaro, in Anglerstiefeln auf den Markusplatz stellt und so tut, als käme Klimawandel einfach mal so über uns. Dabei könnte gerade der umtriebige Unternehmer wissen, dass Generationen von Entscheidern und Machern massiv daran mitgewirkt haben, die Stadt zu versenken. Indem sie Wasserwege immer tiefer ausgebaggert haben, für einen Petrochemie-Hafen, für Kreuzfahrtschiffe, ja sogar für ein 7 Milliarden teures, bislang nutzloses Flutsperrwerk mit dem Namen M.O.S.E.. Petra Reski, Wahl- und manchmal Wutvenezianerin, hat das entlarvend aufbereitet.

Gar nicht Ok, Boomer.

Haltung: „situative Kompetenz“

Zurück zur Veranstaltung „Formate des Politischen“ und ihre etwas depressiven Fragestellungen. „Brauchen Politiker noch Journalisten?“ war ein Panel, das lehrreiche Schlaglichter auf das Thema Haltung warf. Die Journalistinnen Sabine am Orde und Marie von Mallinckrodt schlüpften in die mahnende, geradezu staatstragende Rolle und warben um geordneten politischen Diskurs. Wohingegen der Profipolitiker Mario Voigt eher pragmatisch betonte, dass man eine dialogische Transformation vollziehen müsse, um ans Volk heranzukommen.

Aus der alternativmedialen Parallelwelt war der Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Christian Lüth, anreist. Er konnte bei seiner Klientel nur gewinnen, weil er in dieser Runde nichts zu verlieren hatte. In einer beängstigenden Ruhe beobachtete er, wie sich die Etablierten an den ständigen Provokationen von Weidel & Co abarbeiten. Wie die Vertreter/-innen des gesellschaftlichen Mainstreams in Dilemma-Gymnastik versuchen. Wie kann man mit einem AfD-Mann auf dem Podium umgehen, ohne ihn mit Aufmerksamkeit aufzuladen?

In den Diskussion zur Digitalen Öffentlichkeit tauchten dann Beschwörungsformeln aus der Vergangenheit auf, wie das beliebte „Journalist/-innen müssen einordnen“. Oder Zukunftsansätze wie die Social Media Newsrooms der Parteien Aber die hilfreichste, vielleicht auch etwas hilflose Haltung scheint wohl darin zu bestehen, immer in Bewegung zu bleiben. Der Politikberater (der Grünen) Matthias Riegel sagt es so:

Die Entscheidung wird immer von der höchsten situativen Kompetenz getroffen.

Fazit: Erstmal agil

Nein, der Journalismus ist noch nicht aus der Digitalen Öffentlichkeit  verdrängt. Er wird verflüssigt, viele seiner Gewissheiten befinden sich im Stadium der Auflösung. Wie wird also der künftige Journalismus, next generation? Nach meinen Eindrücken von der Veranstaltung „Formate19“: empirischer, technischer, parteiischer und – mit Rezo – logischer. Vor allem aber muss journalistische Haltung wohl höchst beweglich bleiben. Die Veranstalter von #Formate19 titelten etwas mit „Stresstest“. Oder um das Habitusgebot der Stunde mit einem Modewort zu erfassen: agil.

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