Erhebliche Zweifel: Journalisten-Kritik

Verstehe ihn, wer will: V. Putin (Quelle: Offiziell)

Verstehe ihn, wer will: V. Putin (Quelle: Offiziell)

Ob Ukraine-Krise oder GdL-Streik, Putin oder Weselsky, keine bedeutende öffentliche Debatte mehr, die nicht irgendwann zu einer heftigen Journalisten-Schelte „im Netz“ führt. Einseitig, steuernd oder gesteuert sei die veröffentlichte Meinung hierzulande, vermuten Blogger und Kommentatoren. Sicher, ein uralter Vorwurf. Aber die digitale Verstärkungsmaschine fordert unerbittlich Rechenschaft. Also will ich mich der Frage zu stellen: Lügen wir alle wie gedruckt?


Auch wenn der Anlass immer konkret ist, die Schlussfolgerung wird in der Regel generell gezogen: Medien manipulieren. So auch beim Thema Ukraine und bei der Person Putin. Stefan Niggemeier hat, zunächst in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, und dann in seinem Blog, die Fehlleistung von „Leitmedien“ und „Medien-Mainstream“ kritisiert.

Verdienstvoll und schmerzlich zugleich: Niggemeier ärgert sich über bedenkliche journalistische Fehlleistungen, vor allem aber über den Mangel an Selbstreflexion der Informationsprofis. Verantwortliche würden auf Kritik an ihrer Berichterstattung hochmütig und unbelehrbar reagieren.

Da sind wir an einem entscheidenden Punkt. Deshalb habe ich einmal versucht, unter diesem Eindruck meinem Rollenverständnis nachzuspüren. Im Ergebnis lande ich bei vier Schlüsselbegriffen:

Kritikfähigkeit:

Als Reporter musste ich Berichte vor Gericht, als Redakteur am Zuschauertelefon, als CvD per Brief und als Direktor vor Gremien oder gegenüber der Presse rechtfertigen. Juristisch ist das immer gut gegangen. Eine andere Frage ist, ob ich der inhaltlichen Kritik jedes Mal überzeugend begegnet bin. Wenn ich zurückdenke, habe ich mich so gut wie immer im Recht gefühlt.

Lügen: Nein. Irren: Nun ja – ab und zu habe ich Versagen einräumen müssen. Eigenes oder das meiner Kollegen/innen. Vorwiegend jedoch habe ich in einer Verteidigungshaltung agiert. Pathetisch ausgedrückt: zum Erhalt der Rundfunkfreiheit. Waren es doch oft Interessensgruppen, die sich besonders heftig über Inhalte beschwert haben. So sachlich ich meine Argumente eingeschätzt habe, so überheblich könnten sie gewirkt haben.

Souveränität:

Die aktuelle Medien-Schelte, genauso wie die Attacken der Vergangenheit, ließe sich einfach auf die Seite legen. Häufig kommen die Vorwürfe so pauschal („die Journalisten sind alle …“) oder pampig („unfähige, ungebildete Nachplapperer…“) daher. Also einfach abhaken?

Zunächst ist mir immer danach. Aber das wäre weder sinnvoll noch möglich. Im Gegenteil: Es wirkt stets billig, wegen des Stils einer Kritik einfach deren Inhalt zu ignorieren. Außerdem gehört der Anspruch auf Nutzer-Dialog zu dem Kern des digitalen Zeitalters.

Souveränität bedeutet also gewissermaßen den souveränen Umgang mit dem Souverän. Dem Publikum zuhören, selbst wenn es schreit. Allerdings wäre ich sehr vorsichtig, die Netzgemeinde und all die Ton-Angeber mit der Gesellschaft an sich zu verwechseln. Über diese heikle Grenzziehung denke ich seit langem nach. Insbesondere deshalb, weil ich den zentralen Wert der journalistischen Unabhängigkeit nicht durch vorauseilende Zensur gefährden möchte.

Unabhängigkeit:

Ebenso fundamental wie heikel. Niemand handelt letztlich wirklich unabhängig im Sinne von „neutral“ oder „interessenslos“. Genauso wenig sollten wir Unabhängigkeit mit Selbstherrlichkeit verwechseln.

Worauf sich das Publikum dagegen verlassen können muss, ist die berühmt-berüchtigte „Haltung“. Viele verwechseln das leider mit Meinung. Ich sehe darin den Auftrag, den eigenen Standpunkt zu kennen, deutlich zu machen und seinen Job zu machen: Themen, Positionen und Fakten für die öffentliche Kommunikation bereit zu stellen.

Dies ist eine wunderbare Freiheit, aber eine dienende. Ein Teil ist die unbestechliche Berichterstattung. Ein anderer besteht in der stetigen Selbstreflexion und Programmkritik. Dem haben wir Journalisten uns zu stellen.

Zukunftsfähigkeit:

Wäre ich Berufsanfänger, hätte ich derzeit eine starke Existenz-Sorge. So fundamental, so konfrontativ gehen Netzöffentlichkeiten die etablierten Medien und die Journalisten „alter Schule“ an. Weder Beschäftigte des öffentlich rechtliche Systems und noch viel weniger die Inhaltsarbeiter bei Print und Privatfunk können sich perspektivisch sicher fühlen. Wenn die Gesellschaft den Journalisten das Vertrauen entzieht oder deren Rolle entwertet, dann wird der Beruf kaum noch jemanden ernähren.

Wenn ich aber Zukunftsfähigkeit als Lernfähigkeit definiere, dann halte ich neben stärkerer Technikkompetenz und höherem wirtschaftlichen Verständnis für unseren Berufsstand mehr Selbstflexion für notwendig. Das ist kein Luxus. Bei der Diskussion über den Journalismus geht es um symbolische Macht. Um dieses Potenzial wird knallhart gerungen.

Fazit: Sich selbst infrage stellen, weil es andere sowieso tun

Ein souveränes, kritikfähiges, unabhängiges und zukunftsfähiges Rollenverständnis benötigen Journalisten/innen schon deshalb, weil nicht sie nicht mehr allein die Definitions-Hoheit über ihren Beruf innehaben.

Ich habe mir deshalb auferlegt, die erste Empörung über Journalismus-Schelte herunter zu schlucken, um eher meine Reaktion und mein Rollenverständnis zu hinterfragen. Denn ich glaube, dass die Vertrauenskrise gegenüber diesem gesellschaftlich wichtigen Beruf noch viel schärfer werden wird. Und das nicht zufällig in einer Zeit, in der die Macht-Verhältnisse in der digitalen Medienwelt gerade neu ausgehandelt werden.

Eine allgemein anerkannte Definition des Journalismus gab es nie und wird es nie geben. Den Umgang mit diesem Umstand können wir uns aussuchen: Entweder ist Journalismus unantastbar, weil dessen Beschäftigte ihn jeweils in ihrem Sinne auslegen können. Oder Journalismus ist tief verletzlich bis verzichtbar, da man alles oder nichts von ihm verlangen kann.

Es wird noch sehr anstrengend, aber der Aufwand dürfte sich lohnen.

Kommentare

  1. Josef Daiser meint:

    Bin durch Zufall auf den Blog gestossen da mich das Thema Journlismus/Medien in unserer Zeit sehr beschäftigt und beunruhigt. Unter dem Siegel der Pressefreiheit kann heute jeder der sich halbwegs zu dieser Berufsgruppe zählt den geneigten Leser/Zuschauer/Zuhörer mit seiner meist persönlichen Meinung „beglücken“. Objektiver, ehrlicher Journalismus ist leider nur noch die Ausnahme, was zählt ist, dass sich die liebenKolleginnen/Kollegen selbst in Szene setzen und darstellen. Beispiele gibt es zu Tausenden: von der Berichterstattung zur Germanwingskatastrophe, zum Thema Wulf usw. usw. Dazu noch Plattformen wie z.B. Jakob Augstein im Spiegel oder Josef Wagner in Bild, das ist alles mit Verlaub zum Erbrechen.Noch nie sind wir von so unzählig vielen Wichtigtueren und Selbstdarstellen die sich Journalisten nennen zugemüllt worden. Man muß heute viel mehr Energie aufwenden um sich halbwegs objektiv informieren zu können und den guten ehrlichen Journalismus in dem Müllhaufen zu finden. Wenn so viele Menschen sich in Kommentaren sicher auch oft oberflächlich und vielleicht auch beleidigen äußern so ist das neben eigener Einstellung oft auch eine Form von Verzweiflung um sich gegen diese journalistische Vermüllung zu wehren. Pressefreitheit ja und ohne Einschränkung, ehrlicher Journalismus ja und mit Respekt und ohne Einschränkung, Eigendarstellung und Volksverdummung NEIN NEIN NEIN

    • Da haben Sie die Erschütterung des Grundvertrauens auf den Punkt gebracht, schneller als ich das üblicherweise schaffe: Große Teile des Publikums sind ganz offensichtlich mit der Arbeit ihrer „Öffentlichkeitsarbeiter“ unzufrieden. Aus Gründen.

      Das Problem des „Qualitäts-Journalismus“ – schon die Karriere dieses Begriffes zeigt das ganze Elend der Debatte – ist allerdings weder neu noch lösbar. Nur führt die Explosion der Medienmöglichkeiten, nach Masse und Geschwindigkeit, der Gesellschaft die Krise permanent vor Augen. Medien waren und sind sehr störanfällig.

      Was nun? Im Gespräch bleiben. Wenn Publikum den Auswählenden (journalistsche „Gatekeeper“) nicht mehr vertraut, muss es leider selbst den mühsamen Weg zur seriösen Information finden, den Sie beschreiben. Souveräne Riesen-Auswahl bei gleichzeitig hoher qualitativer Selektivität – das passt kaum zusammen. Und „die Medien“ bzw. „die Journalisten“ müssen sich weiter der (Selbst-) Kritik aussetzen. Ihre Leistung muss sie legitimieren, nicht ihr Status.

      Konstruktiver Wandel funktioniert auf dem Wege der Annäherung.

Trackbacks/ Pingbacks

  1. […] ist dies eine uralte Debatte, aber von den digitalen Möglichkeiten wird sie jetzt neu und großflächig entfacht: Wozu […]

Deine Meinung ist uns wichtig

*