Fremd-Framen für die ARD

Alles im Rahmen der Deutungsfreiheit

Journalismus aktualisiert regelmässig das Selbstbild einer Gesellschaft. Sich über dessen Rahmung klarzuwerden, ist gut. Framing als argumentative Wunderwaffe nutzen zu wollen, wäre aber gefährlich, auch für die ARD.

Was ich davon halte, medienwissenschaftliche Theorien mittlerer Reichweite in strategische Sprengköpfe für den Deutungskampf zu verwandeln, das habe ich mehrfach in diesem Blog erklärt. Im Ergebnis: wenig. Als „Magic-Bullet“-Theorien sorgen sie so in der Regel für einen Schuss ins Knie.

Anders makaber ausgedrückt: Manchmal explodiert die Munition schon in der eigenen Hand. So geht es gerade der ARD, die bei der Wissenschaftlerin und Beraterin Elisabeth Wehling eine Analyse zur Kommunikation des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems beauftragt hat.

Frau Wehling forscht und publiziert über einen in der Medien-Filter-Bubble enorm gehypten Begriff: Framing, Debatten-Rahmung durch Begriffe, die im Gehirn bestimmte Bilder mobilisieren, grob gesagt. Weil dieser Ansatz scheinbar unser öffentliches Diskurs-Durcheinander so logisch erklärt und so einfach löst, ist Frau Wehling mit ihrem Berkeley International Framing Institute nun offensichtlich auch ein gefragter Coach.

Arbeitsgrundlage oder Anweisung?

War ihr Text nur eine „Arbeitsgrundlage“ für Führungskräfte-Workshops, wie die ARD-Generalsekretärin, Susanne Pfab, den Kontext beschreibt? Oder doch eine Gebrauchsanweisung zur Vorne-Verteidigung?  Denn das legt der Titel „Manual“ nahe (siehe Super-Symbolbild oben).

Um nicht falsch verstanden zu werden: Als Verfechter möglichst breit trainierter Medienkompetenz finde ich die Meta-Debatten über Gate-Keeper, Agenda-Setter, Schweigespiral-Dreher und Narrativ-Produzenten  im Journalismus richtig und wichtig. Und um nicht noch falscher verstanden zu werden: als durch und durch ARD-sozialisierter und -finanzierter Medienmensch stehe ich im Legitimations-Kampf dieses „Systems“ auf dessen Seite, in guten wie in schlechten Zeiten.

Deshalb tut mir ja so weh, dass der öffentlich-rechtliche Einsatz von Framing gerade nach hinten losgeht. Denn aus dem Streben nach Image-Gewinn wird ein Glaubwürdigkeits-Problem. Rahmung als Inhalt? Vor allem  aus der rechten Ecke prasselt Kritik auf die angebliche Manipulationsstudie der ARD ein. Aber nicht nur. Die nerdigen Vorwürfe gehen in Richtung Intransparenz(„Geheimpapier“). Netzpolitik.org hat daher das ganze interne Framing-Papier gleich mal veröffentlicht.

Hier lasse ich  beseite, ob so etwas ohne Kontext sinnvoll ist. Das affektbesetzte U-Wort (Urheberrecht) wäge ich gar nicht erst weiter ab. Nun ist der Text in der Welt. In der Tat ist er außergewöhnlich aufschlussreich. Vielleicht entsteht noch eine differenzierte, hilfreiche Debatte daraus.

„Medienkapitalistische Heuschrecken“ und „Beitragshinterzieher“

Bei der Lektüre des Gutachtens befällt mich allerdings zunächst nur das seltsame Gefühl, die Sicht vernagelt zu bekommen. Obwohl ich (siehe Offenlegung oben) ein Systen-Profiteur bin, taumele ich von Störgefühl zu Störgefühl. Paradoxerweise liegt das daran, dass im doppelten Sinne „zwingend“ argumentiert wird. In dem Text finde ich eine interessante Analyse zu Sprachbildern im Mediendiskurs sowie viel Selbstvergewisserung zur Gemeinwohlorientierung des ÖR. Allerdings lerne ich darin auch, dass rationale Argumentation gar nicht der Punkt sei, sondern moralische Überlegenheit. Holzhammer statt Habermas.

Fakten, so steht dort, „werden in einer öffentlichen Auseinanderset­zung erst zu guter Munition, wo ihre moralische Dringlichkeit kommuniziert
wird“. Für den Privatfunk passe der Begriff „medienkapitalistische Heuschrecke“ ganz gut ins Framing-Konzept. Dort herrsche nämlich „Profit-Zensur“. Anders sei dies beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der sich aber nicht weiter so bürokratisch nennen solle. Besser bezeichne er sich als der „freie gemeinsame Rundfunk“. Ihn über eine „Demokratie-Abgabe“ zu finanzieren, schlägt das Gutachten dagegen nicht vor. Dieser Rahmen hat schon mal gebrannt. Aber dass „Beitragshinterzieher“ den „gemeinsamen Willen des Volkes“ missachten und „Loyalitätsbruch“ begehen, sollte man laut Wehling durchaus erwähnen. Und so weiter. Puh …

Kommunikatives Wettrüsten

Die Schlagseite dieses Fremd-Framings im Auftrag der ARD besteht hauptsächlich darin, eine mechanistische Wirkung zu suggerieren. (Übrigens fängt dies im Manual schon mit den eigenen Mitarbeiter/innen an.) Wissenschaftlich erscheint mir das weit weniger abgesichert  zu sein als behauptet. Eher wirkt das, was hier als sachliche Expertise rüberkommen will, wie clevere PR-Beratung. Manchmal wird dies auch am Vokabular deutlich, wenn bespielsweise Menschen mit dem Werbeterminus „wertig“ ausgestattet werden.

Nun ist Reklame genauso zulässig wie die Reflexion von Sprachbildern notwendig. Aber das eigentliche Thema verfehlt der Framing-Vorschlag. Nicht moralische Überlegenheit, sondern Glaubwürdigkeit ist die Legitimationsbasis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dabei geht es, wie auch im Framing Manual besungen, in der Tat um Inklusion, nämlich gesellschaftliche Integration. Exklusion von Konkurrenz und Kritik mit der Moralkeule nützt dabei jedoch wenig.

Nach nahezu allem, was ich in den letzten Jahren intensiver Meta-Debattenbeobachtung wahrgenommen habe, ist die Systemkritik am Öffentlich-Rechtlichen von einer (Über-) Empfindlichkeit gegenüber „Belehrung“ geprägt. Ein Handbuch voller Sprachregelungen kann diese Vorwürfe mit Sicherheit nicht aus der Welt schaffen. Weder durch Ignorieren noch durch Gegen-Erzählungen.

Zudem hat ein gewisses – und oft gesundes – Misstrauen gegenüber Medien und Journalismus ohnehin schon immer existiert. Wird immer existieren. Nun hat es durch die Kommunikationsexplosion der digitalen Gesellschaft eine neue Dimension erreicht. Aber, wie gesagt, das lässt sich nicht einfach durch Weg-Wording lösen. Im Gegenteil: Jetzt gilt jetzt umso mehr, Medienkompetenz zu fördern. Dabei haben Konzepte wie Framing & Co eine wichtige Funktion. Wenn sie die schädlichen Polarisierungen entlarven. Und nicht einfach versuchen, Protagonisten und Publikum umzupolen.

Als Analyse-Instrumente sollten wir medienwisschaftliche Erkenntnisse nutzen, nicht als Wunderwaffen. So richtig ich vieles aus dem Papier von Wehling auch finde (und so hysterisch viele Reaktionen darauf) – mir erscheint der Framing-Ansatz wie ein weiterer Dreh an der Spirale kommunikativen Wettrüstens.

Update 20.02.2019: Das dynamische Thema rechtfertigt einen Nachklapp, um zumindest auf einige neue interessante Texte hinweisen zu können (Zusammenfassungen hier und hier). Außerdem muss ich noch kurz meinen Frust als ARD-Ehemaliger und jetzt freischwebender Journalismus-Forscher bekennen. Offenlegung: Ich verstehe die Medienwelt nicht mehr!

Eigentlich war die Ausgangslage gar nicht so geheimnisvoll. Der Framing-Ansatz von Elisabeth Wehling und GeorgeLakoff steht – auch „weltanschaulich“ – für eine bestimmte Form der Politikberatung und beruht auf ihrer spezifischen Erkenntnisposition. Wir haben es also mit einem wissenschaftlich grundierten Geschäftsmodell zu tun. Angesichts vielfacher polemischer Anfeindungen haben die Öffentlich-Rechtlichen ein Imageproblem. Also ab auf die Couch einer Spin-Doktorin.

Warum ist jetzt das entstanden, was Stefan Niggemeier eine „absurde Debatte“ nennt? Wie kam es, dass wir in einer unversöhnlichen, polarisierenden Deutungsschlacht gelandet sind, oder meinetwegen: im Streit der Framings? Warum beginnt eine Offensive mit einem Eigentor?

  1. Weil der umstrittene Text tatsächlich aus einem Analysewerkzeug für Medienkompetenz eine Waffe im Meinungskampf macht.
  2. Weil im Rahmen eines Beratungsauftrages ein Papier entstanden ist, unter dem jede/r etwas anders verstehen kann.
  3. Weil der Zeitgeist schwarzweiß trägt.

An der Verwirrung um das Framing-Manual sind viele beteiligt:

  1. Die Autorin, Elisabeth Wehling selbst, die in ihrer „Klarstellung“ weiter auf die dröhnende Esoterik ihres Kommunikationsverständnis setzt: „Sprache schafft Bewusstsein“. (Loriot hatte in seinen Sketchen eine wunderbare Art, Herrn Blümel in solchen Situationen sagen zu lassen: „Ach was!“)
  2. Die Auftraggeberin ARD. Das fängt schon beim Titel an: Angeblich ist das „Manual“ gar keins, sondern ein Arbeitspapier, Analyse, Gutachten, Materialsammlung, was auch immer. Hauptsache intern, was bei derlei Sachverhalten mindestens ein bisschen naiv konzipiert ist. Hier hat Extra-3 ganz witzig reagiert.

  3. Die Systemgegner und -verteidiger, zumindest erschreckend viele. Denn sie beharken sich, ganz im Sinne der Frame-Mechanik, auf der gleichen Grundlage: Sachargumente sind Schall und Rauch. Moralisieren reicht.

Vielleicht wird die Debatte ja noch. Hilfreich wäre es, den Frame des „Framings“ einmal kritisch  zu hinterfragen und – letzter Kalauer für heute – die Diskussionen wieder im angemessenen Rahmen zu führen.

 

 

 

 

 

 

Deine Meinung ist uns wichtig

*