Je suis … ja was eigentlich?

Trauer und Trotz (Foto: Elya / CC-BY-SA 4.0)

Trauer und Trotz (Foto: Elya / CC-BY-SA 4.0)

Ein etwas heikler Einstieg in diesen wortreichen Text: Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Dennoch: Wer einen (We)Blog zum Thema Medien führt, also ein öffentliches Tagebuch von seinem Erleben und Erkennen in der digital vernetzten Welt, der kommt um einen persönlichen Eintrag zum gestrigen Tag nicht herum. Jedenfalls ich nicht. Weil ich auf irgendeine Weise wieder ausdrücken muss, was da nach dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ medial auf mich eingedrungen ist.

Das klingt nach therapeutischem Schreiben und ist auf jeden Fall stark selfie. Insofern immerhin zeitgemäß. Beispielsweise symbolisiert in der solidarischen Parole des 7.1.2014: „Je suis Charlie.“ ICH. Es wirkt so eitel, unbeabsichtigt fast pietätlos, aber: Die Schüsse in Paris haben in virtueller Weise auch mich getroffen. Sie nicht?

Und selten habe ich beim Verarbeiten von Informationen meine eigene Langsamkeit so sehr entdeckt wie gestern. In Wahrheit bräuchte ich wesentlich länger, um Fakten zu erfassen, Gedanken zu ordnen, Schlussfolgerungen zu ziehen. Als Bürger, als Christ oder Journalist.

Aber das kostet echt Zeit – und deshalb geht es in Echtzeit nicht. Stattdessen will ich wenigstens meine wichtigsten Gedanken hier festhalten. Als mediale Selbstreflexion. Ungeordnete, ungeschützte Beweissicherung in eigener Sache bei einem Vorgang, den wir alle uns möglichst bewusst machen sollten: die individualisierte Herstellung unbegreiflicher Öffentlichkeit.

Die erste Wahrnehmung des Anschlags von Paris, sie geschieht mir via Twitter. Meine Nachrichtenagentur für Nebenbei. Ein deutscher Journalist verlinkt eine italienische Quelle. Nach dem Klick wird schnell klar: Diese Geschichte dürfte alle öffentlichen Wahrnehmung-Schwellen überwinden. So grausam passgerecht ist sie im nationalen, nationalistischen Reiz-Klima dieser Tage.

Schon donnert das Deutungsgewitter los,  auf Twitter, Facebook, Spiegel Online, Guardian online und wo immer es mich noch hin verlinkt. Blitzartig zucken die Meinungsbekundungen auf. Sofortige Solidarisierung (natürlich: „Je suis Charlie Hebdo“) und erste Etikettierungen („mein 9/11“).

Politische Korrekturen und Gegenposoitionen. Dann ein frühes Störgefühl: Mir fällt es bei manchen Äußerungen schwer, kalkuliertes Branding vom Wunsch, tiefe Bestürzung zu bekunden, zu unterscheiden.

Verblüffend schnell entsteht jedenfalls öffentlicher Streit mit harten Worten. Nach, gefühlt, Minuten, sind bereits die ersten thesenhaften Blog-Posts heraus: Es wird analysiert und konterkariert. Darf man überhaupt von „islamistischem Anschlag“ sprechen? Muss man?

Auf Facebook nehme ich weitere Klimavergiftungen unter meinen „Freunden“ wahr. Ein laizistischer, religionskritscher Bremer Politiker fragt bitter: „Wahrscheinlich hat das wieder nichts mit dem Islam zu tun?“ Darauf fragt ein etablierter Bremer Journalist zurück, ob er mit dem Benzinkanister unterwegs sei: „Noch bissel zündeln auf die alten Tage?“

Parallel läuft die Fahndung nach heißen Informationen weiter. Live-Ticker und Schaltgespräche voller Wiederholungen. Ein wackerer Auslandskorrespondent im Dauer-On versucht, das Unklärbare wenigstens zu differenzieren: Ob es nun ein islamistischer Terroranschlag sei oder das Werk von „Trittbrettfahrern“, sei noch offen.

Trittbrettfahrer? Klingt kurios. Hilflos. Werden wir selbst nicht Trittbrettfahrer? Springen wir nicht gerade auf einen medialen Zug auf, beladen mit die suggestiven Bilder, Eil-Meldungen und Kampfmeinungen. Immer weniger vermag ich mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Die ich ausgerechnet an einer Medienmaschine verrichten muss. Also sowieso kein Entrinnen.

Nun ein weiteres, möglicherweise peinliches Geständnis: Mit einem Mal wird mir bewusst, dass ich mehrfach „Terror-Videos“ angeklickt habe. Immer wieder diese wackligen Szenen: Vor allem der wehrlose Polizist am Boden. Warum tue ich das? Allein der Umgang mit diesen Bildern wäre ein kommunikationswissenschaftliches Seminar wert. Titel: „Das Gewalt-Werk in Zeiten seiner ständigen medialen Verfügbarkeit.“ Oder eine Therapiestunde.

Mir geht alles zu schnell und doch komme ich nicht vom Thema nicht los. Ein Versuch, irgendwann genau das mit einem Tweet auszudrücken, also etwas zu tun, erscheint mir unmittelbar danach sinnlos. Besser schweigen. Hat aber vermutlich ohnehin kaum jemand gehört, mein Gezwitscher.

Abends klammere ich mich an das gelernte Krisen-Medien-Repertoire. Um 20 Uhr die amtlichen Bekanntmachungen: Erst die Tagessschau, dann den Brennpunkt im Ersten. Auf dem „Second Screen“ erscheint mir parallel die Journalisten Silke Burmeister, die wohl immer mit Stahlhelm („Medienfront“)  twittert. Und regt sich auf:

„Paris steht für die Liebe und das gute Essen – ist der Moderator besoffen oder hat er nicht verstanden, worum es geht?“

Gewiss war der Moderator nicht besoffen, sondern vielleicht nur betroffen. Etwas neben der Spur, wie manche an diesem Tage. Ob die Goldwaage da das richtige Messinstrument ist an? Aber bleiben wir ruhig medienkritisch. Ich beispielsweise konnte das Klischee mit dem gestörten Paris-Idyll wesentlich besser ertragen als den Titel der Sendung. Brennpunkt „Blutbad“. Das tut weh.

Nach den Tagesthemen geht mir die mediale Puste aus. Für eine komplette Theapiestunde im Rahmen der Sondersendung von hartaberfair mit Frank Plasberg reicht meine Kraft schon nicht mehr. Das Alter vermutlich.

Soweit der Tagesablauf. Nun die, gleichfalls vorläufigen, Schlussfolgerungen:

Der Anschlag hat ganz real Menschen getroffen. Schrecklich. Schrecklich. Schrecklich. So viele Morde geschehen immer wieder. Leider. Leider. Leider. Was aber die besondere Wirkung dieser Gewalttat ausmacht: Die Morde in der Redaktion von Charlie Hebdo sind gleichzeitig ein Angriff auf unsere Aufmerksamkeit!

Daran schließt sich gleich eine gruselige Frage an: War es sogar ein erfolgreicher Angriff? Haben die Attentäter nicht alles richtig gemacht? Eine perfekte Öffentlichkeitsarbeit des Bösartigen? Bei der Antwort kommt wohl auf unser aller Reaktion an: Professionelle Distanz. Zivile Courage. Gesellschaftliche Gelassenheit. So in etwa.

Wenn es nicht schon zu spät ist. Möglicherweise gibt es gar kein Entrinnen, sobald derartig massive mediale Inszenierungen auf uns einwirken. Wenn keine Zeit mehr bleibt, einen analytischen Abstand herzustellen.

Der Soziologe Niklas Luhmann hat, vielfach zitiert, zur „Realität der Massenmedien“ festgestellt:

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“

Nun würde ich ergänzen: „Auch was wir bei der Entwicklung unserer Gesellschaft, ja der Welt, fühlen, fühlen wir durch die (sozialen) Medien.“

Je suis .. ja was eigentlich? Betroffen, in des Ausdrucks mehrfachen und abgedroschenen Sinne: Als realer Mit-Mensch, als virtueller Medien-Bürger, als journalistischer Mittler zwischen diesen vernetzten Welten. Kar? Ja! Nein? Ich kanns mir auch nicht richig erklären.

P.S.: Ich könne alle Zitate des Textes auch verlinken, aber mit diesen Belegen wäre es noch mehr zu lesen. Glauben Sie mir.

Kommentare

  1. “ Die Schüsse in Paris haben in virtueller Weise auch mich getroffen. Sie nicht?“ Nö,mich nicht! Ich bin nicht virtuell. Ich lebe noch,Sie nicht? Sind Sie auch nach den virtuellen Schüssen eines virtuellen Todes gestorben? Sind Sie überhaupt echt?
    Jede Lüge in den Medien, auch in den virtuellen, tötet mehr zwischen Himmel und Erde als diesen lieb ist. F. K.
    Es gibt nicht nur „Lügenmedien“, sondern auch Lügenbewegungen und Lügenparteien

    • Danke für die Reaktion und danke der Nachfrage: Ja, ich lebe noch. Echt. Sonst wäre auch das Bloggen etwas kompliziert. Und ich freue mich, dass auch Sie in Paris nicht real getroffen wurden, so wie ich übrigens respektiere, dass das Massaker Sie virtuell gleichfalls nicht berührt zu haben scheint.

      Bei mir war das anders. Mag sein, dass das Wort „virtuell“ im Sinne von „künstlich“ missverstanden werden kann. Was ich mit meinem tastenden Beitrag gemeint habe, kann ich alternativ mit der sehr abgegriffenen Formel beschreiben: Ich bin betroffen, ohne tatsächlich dabei oder das wirkliche Ziel der Attentäter gewesen zu sein. Möglich wird so eine Anmaßung auch durch die virtuelle Realtiät, in der wir uns gerade begegnen.

      Natürlich wird allerorten, gerade dieser Tage, stets viel geheuchelt und gelogen. Wobei nicht jede andere Meinung oder handwerkliche Fehlleistung gleich eine „Lüge“ ist. Nur,darum geht es mir in diesem Fall gar nicht so sehr. Meine Lehre aus dem Terror-Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo lautet eher: Wir müssen wesentlich stärker einer weiteren Verrohung der öffentlichen Auseinandersetzung widerstehen: Medienkritik ja, pauschale Schmähungen nein. Meinungsstreit sicher, Gewalt niemals!

      • Guten Tag Dirk Hansen! Jetzt erst bin ich auf ihre Erwiderung gestoßen. Ich hatte einfach nicht mit einer Reaktion gerechnet.
        Ich stimme ihnen vorbehaltlos zu: Keine Schmähungen, vor allem: keine Gewalt. Die Menschenwürde des Kritisierten darf nicht angegriffen werden. Das aber mache ich dem franz. Satireblatt zum Vorwurf: in ihren Überzeichnungen die Menschenwürde mit Füßen zu treten. Ein J. Böhmermann geht genauso vor. J. Böhmermann begibt sich auf dieselbe menschenverachtende Ebene wie Erdogan. Mit Meinungsfreiheit hat das auch gar nichts zu tun. So wie „Meinungsfreiheit“ im Zusammenhang mit Charlie Hebdo und jetzt auch noch Böhmermann kommuniziert wird, muß man zur Erkenntnis kommen, daß es sie so nicht gibt! Nur wenn man in den Keller geht und zu den Kartoffelsäcken redet, dann hat man diese Freiheit; wenn man also nicht gehört wird. Wenn man aber gehört werden will von anderen Menschen, dann muß meine Rede in moralische Phantasie eingebettet sein. Zuhörende Menschen sind nun mal keine Kartoffelsäcke. Bei Charlie Hebdo ist die Menschenverachtung zu Hause, ebenso beim J. Böhmermann. Menschenverachtung kann nicht Meinungsfreiheit beanspruchen. In diesem Sinne hat J. Böhmermann nichts zu suchen im öffentlich Rechtlichen.
        Sich mit der Menschenverachtung solidarisieren, dem kann ich ebenso nicht zustimmen, wie der mörderischen Gewalt junger islamisch angehauchter Franzosen. Je suis Charlie: eine peinliche Solidarisierung mit Menschenverachtung und Lüge.
        F. Koplin

        • Ich freue mich über Reaktionen und antworte gerne. (Seit ich mich an der Online-Kommunikation beteilige, stelle ich aber zunehmend fest, dass viele es vorziehen, nebeneinander, übereinander und aneinander vorbei zu posten. Aber das nur in Klammern.)

          Keine Gewalt, also nicht töten, selbst wenn man sich tödlich beleidigt wähnt – das ist unser Konsens. Und übrigens die Basis der Charlie-Hebdo-Solidarität. Auch teilen Sie und ich das Störgefühl, wenn Witze und Karrikaturen Verletzung um der Verletzung willen sein zu scheinen. Wenn wenig Substanz erkennbar ist. Von Amts wegen habe ich mich da mal mit der „Affäre“ Carrell/Khomeini – im Grunde ein Herrenwitz – gequält, wo es doch einige Parallelten zu Böhmermann gibt.

          Zum Dissens: Was Sie für eindeutig halten, ist es für mich ganz und gar nicht, kann es auch nicht sein. Die Frage „Was darf Satire?“ führt m. E. schnell in die Irre. Wenn es konkret wird, lauten die entscheidenen Fragen: Was ist Satire? Und wer legt das fest? Ausdrücklich dürfen Satiriker insbesondere mächtige Menschen öffentlich beleidigen. Aus gutem Grund. Aber eben nur aus gutem Grund.

          Legen nun Außenstehende die Verhältnismäßigkeit des satirischen Mittels fest, droht Zensur. Genau so setzt Erdogan den Straftatbestand der Beleidigung in seinem Heimatland gegenüber Kritikern ein. Überlässt die Gesellschaft die Abgrenzung zur Menschenverachtung dagegen den Urhebern selbst, könnte das zur Hemmungslosigkeit führen. Es würde kommunikativer Verrohung die Türe weit aufstoßen. So weit das nicht lösbare Dilemma.

          Wir können diese Abwägung den hiesigen Gerichten sicher mit gutem Gefühl überlassen, denke ich. Die politisch opportunistische Rahmung durch die Kanzlerinnen-Entscheidung halte ich weiterhin für falsch.

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  1. […] Und jetzt wird es gewagt: Aber ich erinnere trotzdem mal an “Charlie Hebdo“. Aus den Morden in Frankreich wurden ja jede Menge Schlüsse gezogen. “Satire darf […]

  2. […] suis… ja was eigentlich?” hatte ich vor zehn Monaten meinen Post zum Überfall auf Charlie Hebdo überschrieben. Angesichts der brutalen Attacke auf Menschen und […]

  3. […] mehr als einem Jahr fühlten sich viele von uns – mich eingeschlossen – durch die Schüsse auf Charlie Hebdo getroffen. Zugegebener Maßen war das ein heikles, […]

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