Masters of the Cyberspace

Eduard Paolozzi: Master of the Universe (Foto: Kim Traylor /CC BY-SA 3.0)

Eduard Paolozzi: Master of the Universe (Foto: Kim Traylor /CC BY-SA 3.0)

Umgeben von Kriegen und Krisen – da haben uns Crypto-Wars wahrlich nicht gefehlt. Zumal sie leider so sind wie sie heißen, nämlich kryptisch: Der komplizierte Streit zwischen Apple und FBI um eine Hintertür ins verschlüsselte Iphone zeigt es. Aber die Bedeutung dieses Ringens zwischen Technik und Politik ist überragend.

Wenn wir dieses Thema nicht sehr ernst nehmen, handeln wir gegen unsere Interessen. Das will ich in diesem Beitrag begründen. Fangen wir mit einer besonderen Bürgerpflicht an, nämlich der zur Beachtung von Wichtigem.

Bürgerpflicht zur Beachtung

Gerade haben Deutschlandfunk und die Initiative Nachrichtenaufklärung ihre alljährliche Liste von in den Medien vernachlässigten Themen veröffentlicht. Natürlich eine subjektive Auswahl, die aber verdienstvoller Weise zeigt: Im Journalismus ginge es auch anders, ginge auch anderes.

Blinde Flecken entstehen aber ebenso beim Publikum selbst: Inhaltliche Angebote brauchen schließlich Resonanz. Während die journalistische Ritual möglicherweise Themen ins Abseits drängen, verdrängen die Nutzer gelegentlich Themen. So viel Publikumsbeschimpfung muss sein.

Vor allem wenn es um fundamentale Zukunftsfragen geht. Wie den Konflikt von Apple und FBI um den Datenschutz auf Smartphones.

Ist ja  auch verständlich: Das Ringen um die Welt-Macht kommt hier so technokratisch daher, das wir glatt übersehen könnten, wie viel auf dem Spiel steht: Nämlich ungefähr alles, was unser künftiges kommunikatives Leben ausmachen wird.

An der Berichterstattung liegt die Unterschätzung diese existentiellen Kampfes übrigens nicht. Die haut verbal ordentlich auf die Pauke, vor allem in den USA. „Encryption War“ mit Apple-Chef Tim Cook als „General“ im „Nerd Attack„. Der erklärt die behördliche Forderung nach Beihilfe zur Entschlüsselung zum casus belli.

Eine geforderte Hintertür zum Handy eines Attentäters von San Bernardino will Cook gar nicht erst konstruieren lassen. Denn dann wäre das Tor zur allgegenwärtigen Überwachung aufgestoßen, es gäbe eine Art Generalschlüssel.

Opposing this order is not something we take lightly. We feel we must speak up in the face of what we see as an overreach by the U.S. government.

Erste Reaktion:. Apple hat kein Recht auf Widerstand gegen die Staatsgewalten, zumal gerichtlich angeordnet. Dafür ist die Firma nicht legitimiert.

Zweite Reaktion: In den USA – der Heimat von NSA und Trump – werden gerade Themen verhandelt, die massive Auswirkungen auf unser aller Leben haben. Dazu fehlt dem Land ebenfalls die Legitimation.

Dritte Reaktion: Es tobt ein Kampf zwischen den alten Herren der realen Welt und den Masters of the Cyberspace um die Vorherrschaft in der digitalen Gesellschaft. Legitimation?

Die große Ermächtigung

Was sich also liest wie der Streit zwischen Technokraten und Technikern um staatlichen Daten-Zugriff dürfte im Ergebnis zur Weichenstellung für ein ganzes Medienzeitalter werden: für die Welt nach der Gutenberg-Galaxis, könnte man mit dem Kommunikations-Visionär Marshall McLuhan sagen.

Gerade von ihm haben wir gelernt: Medien geben nicht nur Informationen weiter, sie geben auch das Informieren vor. Sie reiben uns die Botschaft auf ihre eigengesetzliche Weise ein. Message und Massage.

Was heißt es überhaupt, zu kommunizieren? Was bedeutet „Sprache“. Der große Pierre Bourdieu, für den Soziologie Kampfsport war, gibt eine hilfreiche Antwort:

Tatsächlich üben Worte eine typisch magische Macht aus: sie machen sehen, sie machen glauben, sie machen handeln.

Die Sprache „beherrschen“ bedeutet: Sie für sich effektiv einsetzen, ihre Regeln brechen zu dürfen und ihre Gesetze bestimmen zu können. So geht Autonomie. Das ist Macht. Auf Latein heißt Gesetz „Lex“. Das Wort stammt von „legere“ ab, was man unter anderem als „lesen“ übersetzen kann.

Word! Und heute? Stehen wir mit dem realen Bein im analogen Recht und mit dem virtuellen im digitalen „Code is Law.“ Diesen Leit-Satz meint der amerikanischen Verfassungsrechtlicher Lawrence Lessig übrigens durchaus ernst und positiv.

Letzteres kann man so oder so bewerten – aber die Kern-Aussage „Code is law“ nicht bestreiten. Programmieren ist  ein gesetzgeberischer Akt. Algorithmen wie „Edgerank“ bestimmen unsere Wahrnehmung von Meldungen auf unserer Facebook-Timeline. Geschäftsbedingungen (AGBs) regulieren Recht und Unordnung auf den großen digitalen Plattformen, den Parlamenten der neuen Welt.

Totalitäre Technologie

Es klingt jetzt etwas anrüchig und ich meine es nüchterner als es klingt – aber: Wir befinden uns gerade in der Gewalt einer totalitären Technologie, der sich niemand entziehen darf oder soll, weil ihr Erfolg eben darauf basiert, dass alle sich an sie binden.

Für eine demokratische Öffentlichkeit folgen daraus zwei bedeutende Fragen: Wer sitzt am Master Switch (Tim Wu) der Plattformen zur Durchleitung von Content? Und: Wie ticken die IT-Eliten, die unsere Zukunft programmieren, auf der Basis einer Mensch-Maschinensprache. Denn: Code ist Macht.

Masters of the Cyberspace – zugegeben, das ist ein begrenzt seriöser Titel. Nicht von ungefähr erinnert er an das elitär-egoistische Abgehoben sein der Börsen-High-Potentials in Tom Wolfes Roman „Fegefeuer der Eitelkeiten“.

Für mich versinnbildlicht der Ausdruck den hoffnungsvollen Selbst-Ermächtigungsgestus des Internets, wie er so unvergleichlich in einem Dokument zum Ausdruck kommt, das gerade 20 Jahre alt geworden ist: Jon Perry Barlow Declaration of Independence of Cyberspace.

Governments of the Industrial World, you weary giants of flesh and steel, I come from Cyberspace, the new home of Mind. On behalf of the future, I ask you of the past to leave us alone. You are not welcome among us. You have no sovereignty where we gather.

Word! Wer den Text liest, wird vielleicht wie ich hin und her gerissen sein: Zwischen Respekt vor einer emanzipatorischen Vision und Irritation über deren Großkotzigkeit. Aber der Anspruch ist ebenso klar wie gut begründet: Eine neue Generation fordert die alte zum Machtverzicht auf. Mit Clay Shirky: „Her comes everybody

Heute scheint die Zeit wirklich reif, wenn auch nicht für jede/n.

Globales Dorf – Ortsteil Schland

Obwohl der Konflikt um die Iphone-Verschlüsselung zwischen einer amerikanischen Firma und einem US-Gericht spielt, erzeugt der Fall auch hierzulande durchaus einige Resonanz. Es könnte ja genauso gut um den Einsatz des „Bundestrojaners“ gehen, der bald amtlichen Spionagesoftware.

Wer die Berichterstattung dazu verfolgt, macht zunächst die übliche Beobachtung: Lagerdenken. Dies lässt sich ganz gut nachvollziehen an einem Kommentar auf Tagesschau.de und der Kritik daran. Eine Journalisten kritisiert Apple und ein Blogger kritisiert die Journalistin, weil sie das Thema nicht begriffen habe. Eine typische Szene am Rande des digitalen Grabens, der auch die Medienmenschen trennt.

Dieser Kommentar der tagesschau zum Konflikt FBI vs Apple ist leider nicht der einzige, bei dem jemand das Problem nicht…

Posted by Christoph Kappes on Donnerstag, 18. Februar 2016

Das traditionsorientierte Mainstream-Format Tagesschau.de sagt: Apple möge gefälligst Ermittlern und Kunden gesperrte Handy-Daten entschlüsseln. Während die Aktivisten einer Digitalen Gesellschaft warnen: Bloß nicht, dann schnüffeln Staat und sonstige überall hinein. Verschlüsseln mit technischer Hintertür ist gleich Entschlüsseln.

Und wer sich in die Streitbeiträge einliest, stellt fest: Die politisch Alarmierten und die technisch Versierten verstehen sich einfach nicht. Dabei geht es doch gerade um die Verbindung dieser beiden Welten. Gilt es doch, die physische Welt mit Ihren realen Grenzen und Gesetzen mit den virtuellen Räumen, ihren Codes und Nodes, zu verknüpfen.

Die Auseinandersetzung zwischen Plattformen und Politik rührt schließlich an die Existenz aller im globalen Dorf. Wer auch immer gewinnt, wird die Bedingungen des Lebens in der künftigen Welt prägen. Ihre Normen beherrschen – und damit auch uns Normalos.

Dass so eine Diskussion durchaus differenziert geführt werden könnte, zeigen Beiträge wie der des Oldenburger Wissenschaftlers Jürgen Geuter. In seine englischsprachigen Blog plädiert er für eine offene Auseinandersetzung über Legitimität. Und scheut sich dabei nicht, seine netzaffine Leserschaft zu irritieren. Wenn sich die Programmier-Gesetzgeber aus der politischen Verantwortung stehlen wollen, zum Beispiel:

A small elite of people building the tools and technologies that we use to run our lives have in a way started emancipating from politics as an idea. Because where politics – especially in democratic societies – involves potentially more people than just a small elite technologism and its high priests pulls off a fascinating trick: Defining policy and politics while claiming not to be political.

Gesellschaft verhandelt permanent den Vertrag mit sich selbst. Leider läuft das beim Machtkampf um den digitalen Wandel im Grunde genauso ab, wie viele es am TTIP-Prozess kritisieren: Unverständlich und zumeist im Verborgenen. Die Materie ist komplex und die Interessen sind gewaltig.

Lösung? Partei ergreifen! Irgendeine

Die Lösung? Eigentlich recht klassisch politisch: Wir müssen Partei ergreifen, uns als Nutzer/innen eine Meinung bilden.

Dabei ist es jedem selbst überlassen, ob er oder sie es schlimm findet, dass Staatsorgane einen Schlüssel für persönliche Daten im Smartphone wollen oder dass IT-Riesen solche Hintertüren zimmern können. Gut, selbst „egal“ ist eine Option für eine Position. Sofern begründet.

Die Entwicklung ist jedenfalls wesentlich weiter als viele ahnen dürften. Wie abhängig unser Leben von vertrauenswürdiger digitaler Infrastruktur ist, zeigen immer neue aktuelle Fälle: Etwa die Locky-Schadsoftware. Sie breitet sich rasant aus, ohne dabei öffentliche Einrichtungen, Firmen oder Privatnutzer zu unterscheiden.

Oder nehmen wir den bereits erwähnten „Bundestrojaner“, den das BKA in jedes Handy schieben können will.

Oder eben den Kampf um die Hintertür ins Iphone. Bei aller Kriegs-Metaphorik gab der Crypto-War-Lord Tim Cook gab immerhin kein Call for Duty, sondern einen Call for Discussion.

Damit stellt er als Vertreter der digital Masters of the Cyberspace die Vertrauensfrage: Wem geben wir die Legitimation, die Grundlage gesellschaftlicher Kommunikation zu gestalten und zu überwachen? Werden wir emanzipierte Kunden privater IT-Unternehmen. Oder wollen wir Klienten des Staates bleiben? Und: Was ist das überhaupt für eine Wahl?

Im Zeitalter des großgeschriebenen Ich zielen derlei Fragen letztlich auf unserem Selbstbild. Zwischen Diener und Sever: Brauchen wir kollektives Über-Ich oder geht es auch individuell granular?

Dieses Thema wäre für mich ein Grund, eigene Ministerien und Facebook-Gruppen zu gründen, G-20-Treffen zu organisieren und Stammtische zu befassen.

Aber – und hier komme ich auf die Rolle des Publikums (Volkes) bei den vernachlässigten Themen zurück: Manches, gerade das ungeheuer Wichtige, wollen wir vielleicht nicht so genau wissen ….

Deine Meinung ist uns wichtig

*