Pflicht und Lektüre – Journalismus im Roman

Kriegszustand (Quelle: Borderland Beat Reporter Buggs( CC.BY-SA 2.5)

Kriegszustand (Quelle: Borderland Beat Reporter Buggs( CC.BY-SA 2.5)

Bei Don Winslow rollen diesen Sommer die Köpfe. Eine grausam unterhaltsame und eine brutal lehrreiche Lektüre: „Das Kartell“. Den 830-Seiten-Wälzer können Nutzer als hochspannenden Thriller oder als enttäuschende Fortsetzung von „Tage der Toten“ lesen, dem ersten Teil dieses mexikanisch-amerikanischen Drogendramas. Rezensenten-Routine. Mein Blick hat einen anderen Filter.

Ich nutze den neuen Winslow als berufliche Fortbildung. Wobei ich nicht beabsichtige, in den Kokain- oder Waffenhandel einzusteigen. Mir geht es um eine alternative Perspektive auf manche Meta-Debatte in der Branchen-Blase. Diesen Erkenntnisgewinn hatte ich bereits hier einmal beschrieben.

„Das Kartell“ überzeugt als besonders bezeichnende und überzeichnete Darstellung zum Stand der medialen Dinge. Was zunächst vielleicht merkwürdig klingen mag, aber gleich begründet werden soll. (So viel Cliffhanging sei erlaubt.)

Schriftsteller und Tagesschriftsteller

Zunächst der Theorie-Teil. Mit ihrer Doktorarbeit hat Evelyn Engesser dieser Sichtweise wissenschaftliche Weihen verliehen: „Journalismus in Fiktion und Wirklichkeit“ heißt ihre Untersuchung einschlägiger SPIEGEL-Bestseller-Hits von 1970 bis 2000.

Von Isabell Allende bis Tom Wolfe – Literaten, die Journalismus thematisieren, haben eine ebenso lange Tradition wie Journalisten, die Literatur produzieren. So entstehen außerordentlich interessante Perspektiven auf einen gesellschaftlichen Schlüsselberuf. Das Ganze verkauft sich offenbar auch ganz gut.

Etwas grob zusammengefaßt, wird Journalismus in der populären Literatur – mal idealisiert, mal kritisch – als aktive Aufklärung unter ökonomischen Zwängen und mit wenig Rücksicht auf Verluste geschildert. Rechtliche Hürden werden dabei souverän übersprungen. Recht amerikanisch. Man leidet unter privaten Problemen und wirtschaftlichen Zwängen. Und das Publikum spielt eher selten eine Rolle.

Weil besonders viele Journalisten/innen Romane schreiben, warnen Forscher wie Volker Lilienthal davor, deren Texte einfach als Abbild der Realität zu nehmen. Die „Helden der Aufklärung?“ (Lilienthal 1984) seien kritisch zu betrachten, gerade wenn sie Bücher schreiben. Berechtigte Vorsicht. Expertin Engesser vertritt trotzdem die Auffassung, dass die Dichtung der Wahrheit häufig ziemlich nahe kommt.

Denn Journalisten fliehen aus den alltäglichen Produktionszwängen, um dann doch zu schreiben, was ist. In dreierlei Hinsicht, oder Absicht, nutzen sie Literatur:

1. Ort der (Selbst-) Reflexion des journalistischen Akteure
2. Form der Imagepflege gegenüber dem Publikum
3. Plattform für Themen gesellschaftlichen Wandels

Medien und Drogen

Dieser Eskapismus eröffnet einen eleganten Umweg Richtung medialer und sozialer Wirklichkeit. Dabei verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion. So wie im aktuellen Roman von Don Winslow. Sein plakativer Thriller beschreibt – „inspiriert“ von wahren Begebenheiten, wie er im Nachwort sagt – die Eskalation des mexikanischen Drogenkrieges in den vergangenen Jahren.

Unter anderem schildert Winslow die Flucht seines Bosses der Bosse, Adán Barrera aus einem staatlichen Gefängnis. Kurz nach Erscheinen des Romans büxt das reale Vorbild seiner Figur, Joaquin Guzman, tatsächlich aus. Filmreif. Romantauglich. Winslow wiederum kommentiert den Vorgang in den News. Enger geht die Verzahnung der Ebenen Roman/Realität wohl kaum.

Das Streben nach globalisierter Herrschaft sprengt alle Grenzen, politisch, ökonomisch, moralisch. „Kartell“, das ließe sich auch mit „System“ übersetzen. Betroffen sind wir alle. Gesellschaftlicher Wandel lässt sich kaum präziser auf den Punkt bringen als in den leitartikelnden Worten der Geliebten des fiktiven Super-Paten Barrera:

„Die Welt hat sich geändert. Jeder moderne Krieg ist ein Dreifrontenkrieg: ein militärischer Krieg, ein politischer Krieg, ein Medienkrieg. Und gewinnen kannst du nur, wenn du alle drei zugleich führst.“

Also wird viele Seiten lang geschachert, geköpft und getwittert.

Oscar Herrera überfordert das. Im Roman gibt er den (erfundenen?) Journalisten alter Schule, der als gestandener Chefredakteur einer großen Zeitung einigen Hauptfiguren der Handlung Weisheiten übers Internet vermittelt:

„Das ist der neue Journalismus. (…) Die einen nennen es Demokratisierung der Medien, die anderen nennen es Anarchie. Das Problem ist die fehlende Nachprüfbarkeit. Da kann jeder behaupten, was er will. Ich bleibe dabei, dass der Redakteur seine Funktion hat.“

Wohl gemerkt, ich zitiere aus einem Mainstream-Thriller, nicht die Medienseite der Süddeutschen.

Gewalt und 5. Gewalt

Der Anlass für die Bemerkung im Roman ist genauso interessant. Weil die mexikanischen Altmedien unter brutalem Außendruck fast ihre Stimme verlieren, entsteht der Blog „Das Wilde Kind“. Das anonyme Web-Angebot übernimmt die Aufgabe, Öffentlichkeit herzustellen, um über Verbrechen und ihre Hintergründe aufzuklären. Das reale Vorbild heißt „El Blog del Narco“.

„Geschäft ist Krieg“ lautet eine fernöstliche Management-Spruchformel. Und Journalismus in diesen Zeiten ist es mancherorts auch.

Auch wenn der Hauptprotagonist ein desillusionierter Drogenfahnder ist, Journalisten gehören zu den Schlüsselfiguren in „Das Kartell“. Noch bevor die Handlung beginnt, listet Don Winslow die Namen mexikanischer Journalisten auf, die wegen ihrer Recherchen zu Drogenthemen ermordet wurden. Helden und natürlich: Heldinnen – der Aufklärung, ganz ohne Fragezeichen.

Etwas weniger pathetisch, aber dafür nüchtern eindringlich werden die Arbeitsbedingungen mexikanischer Journalisten in diesem ARD-Beitrag beschrieben.

Erregende Wirklichkeit

All das bisher Geschriebene stellt nicht infrage, wie banal und belanglos journalistischer Alltag auch sein kann. In meinem Berufsleben war tödliche Langeweile eindeutig die größere Gefahr. Erbarmungsloser Konkurrenzdruck, schleichende Korruption und unterschwellige Drohungen sind aber wiederum so weit nicht von deutscher Medienwirklichkeit entfernt.

Romane wie „Das Kartell“ überzeichnen die gesellschaftliche Realität und verzerren sicher auch das Image von Medien. Paradoxerweise lässt sich aber gerade so unser Bild von der Welt und ihrern Erklärern zurecht rücken. Verkaufsstarke Thriller profitieren hier von einem alten journalistischen Prinzip: „Nichts ist erregender als die Wahrheit.“

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  1. […] noch fiktional, nun real. Gestern habe ich am Beispiel eines realistischen Thrillers über bedrohten Journalismus gepostet – […]

  2. […] diesem Blog habe ich das Prinzip der Verflüchtigung von Medienarbeit und -kritik ins Fiktionale da und dort beschrieben. Deshalb will ich mich jetzt auf das publizistische Selbstverständnis der drei […]

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