Kecke Kunden – die Kraut-Community

 

Schwer auf den Punkt zu bringen: Community (links)

Schwer auf den Punkt zu bringen: Community (links)

 

Zweifelsohne sind es Gemeinden mit Mission: „Communities“ entwickeln den Journalismus von morgen. Sie verhandeln Macht und Möglichkeiten der Medien. Konkret beobachten lässt sich das beim Crowdfunding-Projekt „Krautreporter“ (KR). Besonders, wenn der diskursive Glaubenskrieg ausbricht: Um Personen, Inhalt, Kommunikation oder Technik. Umdenken fällt allen Beteiligten noch sehr schwer.


Am Anfang gleich eine „Offenlegung“: Dies ist sozusagen ein „Mitglieder-Post“, denn auch ich bin einer von derzeit 19.000 Abonnenten. Dadurch habe ich mir ganz legal Zutritt zu einem der interessantesten Labors der Medienwelt verschafft. Als teilnehmender Beobachter quasi.

Wobei ich im Folgenden zeigen will, dass es weniger die Texte von KR sind, die ich spannend finde. Sie sind so gut, oder manchmal nicht so gut, wie bei vielen anderen publizistischen Produkten. Vielmehr reizt mich die Findungsphase einer speziellen Netzgemeinde, die Qualitäts-Journalismus predigt und praktiziert.

Grundsätzlich geht es um die echt komplizierte Beziehungskiste zwischen Medium und Publikum, zwischen „klassischen“ Journalisten und aktiven Nutzern, „Prosumern“. Gerade sie sollen im „Community-Journalismus“ ala KR eine neue, bedeutende Rolle bekommen.

Nun noch ein Geständnis: Weil das Gelände wissenschaftlich noch nicht vermessen ist, spekuliere ich hier sehr viel. Gut, und recht lang.

Machtkampf um die Deutungshoheit

Meine Ausgangs-Behauptung: Die Entwicklung der Krautreporter wird in der Medienbranche sehr aufmerksam verfolgt, weit intensiver als bei einem x-beliebigen Start-up. Inzwischen ist die Situation symbolisch so aufgeladen, als sei eine journalistische Arche Noah vom Stapel gelaufen. Die man gern überall nachbauen würde – abweichend von der biblischen Geschichte. Überlebenskampf des Journalismus in der verflüssigten digitalen Moderne.

Was ich bislang an Kommentaren und Statistiken lese, lässt mich außerden vermuten, dass unter den Mitgliedern der KR-Gemeinde einerseits Journalisten/innen, andererseits Internet-Schaffende überrepräsentiert sind. Da gibt es natürlich Überschneidungen, identisch sind die beiden Milieus aber nicht.

So komme ich zu einer weiteren Spekulation:

Ich wage die These, dass die Konflikte um KR, so wie das Projekt insgesamt, etwas von einem „Nerd-Attack“ haben, einen Angriff neuer, netzaffiner Eliten auf das Selbstverständnis des etablierten Journalismus. Ein Machtkampf um die Deutung einer gesellschaftlichen Schlüssel-Funktion. Und gerade in einer Behauptungskultur wie der Medienwelt funktioniert das über den Diskurs. Man erschafft, was man behauptet.

Die Zukunfts-Diskussion kreist zunehmend um das Thema des Nutzer-Dialoges, d.h. um  die Erreichbarkeit – oder Unerreichbarkeit – der „Altmedien“ für die besonders selbstbewussten Kunden: Die „Aktiven Nutzer“, die Kommentatoren und Blogger. Sie sind bei weitem nicht das ganze Publikum, aber eine mächtige Teilmenge, hoch IT-affin. Eine Gruppe mit Gestaltungsanspruch.

Die Bedeutung dieser symbolischen Auseinandersetzung für die Medienentwicklung kann kaum überschätzt werden. Viele Debatten um die (Vertrauens-) Krise im Journalismus der letzten Jahre lassen das erkennen. Wie weit beide Seiten voneinander entfernt sein können, beschreibt exemplarisch der Blogger Marco Herack in seinem Denktagebuch von seinem Standpunkt aus :

Viele Journalisten haben sich entschlossen einem neuen Feindbild zu frönen. Sie hassen ihre Leser.

Hoffungsträger

Das Projekt „Krautreporter“ will diesen Graben zuschütten. Grob gesagt, gibt es zwei Gründe, zahlendes Mitglied bei KR zu werden. Erstens: Im Sinne des Gemeinwohls Qualitäts-Journalismus unterstützen. Zweitens auch persönlich von guten Geschichten profitieren. Entscheidend ist aber ein Zusatzpunkt, ein USP: Denn verbunden wird das Ganze nun mit der Aussicht, in einem hohen Grad an  Entwicklung sowie Qualitätssicherung der Inhalte und Formen mitwirken zu können.

Deshalb waren die Voraussetzungen nahezu ideal, als sich 2014 einige online-bekannte Edelfedern und eine anspruchsvolle Info-Elite per Schwarmfinanzierung zusammengekuschelt haben. Motto: „Wir alle sind die Redaktion.“ Trotzdem fliegen nun die Fetzen, weil die Partner sich darüber streiten, was das Versprechen von damals eigentlich praktisch heißen soll und kann: „den kaputten Online-Journalismus reparieren“.

Kritik aus der Crowd

Noch nicht mal ein Jahr nach dem Start scheint mir: Wer solche Fans hat, braucht eigentlich keine Feinde mehr. Polemik gehört in Auseinandersetzungen offenbar sowieso zum guten Ton. Vor allem aber handeln einige Enttäuschte nun ihre Kritik an der real existierenden Journalismus-Revolution KR heftig und grundsätzlich ab: Schlecht recherchiert, langweilig geschrieben und technisch Gurke. Zu wenig über Charlie Hebdo, zu viel von Tilo Jung(& Naiv). Außerdem sei das Kraut-Team wenig kritikfähig.

So liest es sich beispielsweise in einem vielbeachteten Text im Blog von „Frau Meike“ . Empfehlenswert ist hier besonders die Lektüre der vielen Kommentare. Aber auch die szenenbekannte Blog-Hausherrin Meike Lobo vorsteht es, ihren Frust  zu pointieren, so zwischen Aphoristik und Apodiktik.

Scharf formuliert, wie bei Frau Meike, oder online-üblich akribisch durchgezählt, wie hier – die einstigen Hoffnungsträger bekommen in Blogs öfter mal einen Versager-Stempel aufgedrückt. Die ganz große Mehrheit schweigt (mal wieder). Somit ist schwer zu sagen, inwieweit die aktiv Enttäuschten die  Gesamtzahl der Mitglieder repräsentieren. Nur widersprechen eben nicht allzu viele der Kritik.

Mein eigener Eindruck? Die Themen und Texte der Krautreporter, von Hunde-Hierarchien bis zu Charlie Hebdo, haben Bandbreite, Tiefe und Niveau. Gleichzeitig treffen sie auch meinen Geschmack nicht immer. Durchaus ernsthaft kommt das Angebot zur Mitarbeit daher, „Community-Journalismus“ genannt. Zu einzelnen Themen haben sich bereits kleine Gemeinschaftsredaktionen gebildet. Allerdings ausgelagert auf Facebook, was auch zur Kritik führte.

19.000 verschiedene Erwartungen

Insgesamt spielt – neben häufiger Klage über technisches Versagen – in der Kritik der angebliche Mangel an „Relevanz“ eine erhebliche Rolle. Wobei dafür verblüffend unterschiedliche Maßstäbe existieren. Wenn überhaupt. Dem Chefredakteur, Alexander von Streit, schwant inzwischen: 19.000 Abonnenten hätten vermutlich auch „19.000 verschiedene Erwartungen'“(Minute 5.50).

 

Zu viel versprochen oder zu viel verlangt?

Also: Haben sich manche Mitglieder der Community vielleicht selbst zu viel versprochen? Den journalistischen Himmel auf Erden für nur noch 60 EURO im Jahr? Meine schüchterne Nachfrage in diese Richtung konterte „Frau Meike“ souverän mit einem Hinweis auf die Gesetze der Marktwirtschaft:
Frau Meike
Klar, Königin Kundin. Wir bestellen – ihr liefert. Manche Auseinandersetzungen um Produkte der Krautreporter funktionieren dann auch ein bisschen im Gestus von „Daumen hoch, Daumen runter.“ Wie bei den römischen Kaisern im Circus Maximus. Oder bei Facebook, um eine modernes Beispiel zu wählen.

Liest man sich die Selbstdarstellung der KR einmal genau durch, so steckt in dieser linearen Anspruchshaltung wohl mindestens ein Missverständnis. Die Mitglieder bei den Krautreportern haben weniger in ein konkretes Produkt, sondern eher in einen experimentellen Prozess investiert. Dessen Hauptbestandteil sie selbst sind. Eine ziemlich große Lehrredaktion. Manchmal auch: Be-Lehrredaktion.

Organisierte Verantwortungslosigkeit

Der unbestreitbare Reiz des Ansatzes „Wir alle sind die Krautreporter“ liegt in einer großen Offenheit für Entwicklungen, für Beteiligung. Die Kehrseite zeigt allerdings eine erhebliche Unschärfe in der Rollen-Erwartung. Freiraum und „Zeit für Journalismus“ verträgt sich nicht unbedingt mit einer allzu weitgehenden Publikums-Mtibestimmung ohne Mit-Verantwortung.

So stehen nun wichtige Fragen ungeklärt im Raum herum:

Wie definiert sich „Qualitäts-Journalismus“? Und wer?
Was heißt „Unabhängigkeit“? Und von wem?
Wer darf etwas versprechen? Und wer muss halten?
Was darf etwas verlangen ? Und von wem?
Wie viel Aufwand treiben? Und für was?

Antworten darf man nach der Logik des Konzeptes nicht nur von den „Macher/innen-Team“ der Krautreporter erwarten, sondern gerade auch von deren Unterstützern, Teilhabern, Teilnehmern (und sämtlich „-innen“). Der Community eben. Letztlich müssen die Beteiligten in diesem Prozess ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu Konsens und Kompromiss ausloten. Wenn sich die KR-Gemeinde in diese Richtung bewegt, könnte sie eigentlich erst ihre Mission erfüllen.

Diese Sichtweise scheint aber nicht so ganz der binären Logik vieler Gemeindemitglieder zu entsprechen: relevant/irrelevant, richtig/falsch, bestellt/geliefert. Insofern besteht die Gefahr, dass das mediale Labor KR –  ähnlich wie die Piratenpartei – an sich selbst scheitert: Der schwächelnden repräsentativen Demokratie mal eben ein neues Betriebssystem aufspielen wollen, das war vielleicht doch zu technokratisch gedacht.

Menschliches Maß statt Teufelskreis

Für Abgesänge ist es Gottseidank viel zu früh. Die Krautreporter sind auch unverzichtbar. Wenn dieses Projekt scheitert, muss man sich zwar wenig Sorgen um die dort versammelten Edelfedern machen. Es würde aber eine historische Chance vertan, allgegenwärtige wolkige Visionen auf den Prüfstand zu stellen. Lösungen statt Behauptungen.

Der Community kommt dabei die Schlüsselfunktion zu: Gelingt es, die technologischen Machbarkeitsphantasien in diesem konkreten Fall auf ein menschliches Maß zu ernüchtern? Also einen hohen Medienstandard  unterhalb der theoretischen Perfektion zu dulden?

Dazu müssen Projekte wie Krautreporter den Teufelskreis von übertriebenen Versprechungen und überzogenen Erwartungen durchbrechen. Bislang klappt das nicht so recht.

Perspektive: Neue Überflieger starklar

Wobei das Problem erkannt wurde: „Man startet nicht als Überflieger“, heißt es sinngemäß in einer der vielen Kommentar-Kritiken zu KR, „sondern baut sich allmählich Qualität auf“. Die Frage ist nur, wer unter aufmerksamkeitsökonomischen Bedingungen bescheideneren Projekten überhaupt erst mal eine Starterlaubnis gibt.

Denn wer sich beim Schwarmfinanzieren durchsetzen möchte, setzt in der Regel auf knackige Projektbeschreibungs-Prosa mit den notwendigen Schlüsselreizen an Freunde und Follower. Üblicherweise reicht eine klare Klatsche für die „Mainstream-Medien“ und die unscharfes Ankündigung eines anderen, neuen Journalismus. Schon fließt der Vertrauens und der Geld-Vorschuss.

Das nächste große Versprechen dieser Art bereits auf dem Server: „Der Sender“.

„Wir sind gut vernetzt“, lautet ein hoffnungsfroher Satz in dem Bewerbungsvideo. Mögen sich die Initiatoren nicht darin verheddern. Immerhin: Es bleibt spannend. Allein das macht Hoffnung.

Trackbacks/ Pingbacks

  1. […] Den es offenbaren sich die Möglichkeiten und Grenzen eines Journalismus im kritischen Publikumsdialog bei allem, was Krautreporter machen. Dazu gehören vor allem die wechselseitigen Pflicht- und Schuld-Zuweisungen in der Community. Haben die KR die enormen Ansprüche nicht erfüllt oder wäre das auch zu viel verlangt? […]

  2. […] für Menschen wie mich ein unbezahlbares Anschauungsojekt für Medienwandelforschung ist (hier, hier oder hier), ist der wirtschaftliche Überlebenskampf hart. Erkenntnisgewinn bedeutet noch lange kein […]

Deine Meinung ist uns wichtig

*