Medien-Bashing-Bashing

Delphi (Quelle: De Lorenzo / Ventayol CC BY 3.0)

Delphi (Quelle: De Lorenzo / Ventayol CC BY 3.0)

Schuldenstreit um Griechenland – für manche ist das eine Journalismus-Pleite. Wieder einmal drehen sich wichtige Debatten medial eiernd im Kreise. Grundsätzliche Systemfragen und praktische Probleme werden durcheinander diskutiert. Deshalb nun der Versuch einer Analyse und die Suche nach einem Ausweg. Es scheint an der Zeit für ein Bashing des Bashings.

Die Vertrauensfrage

Wenn es irgendeinen gemeinsamen Nenner aller Streitparteien gibt, dann den: das Vertrauen ist weg. Abhanden gekommen, zerstört, wie auch immer. Leider wird das Handeln in der Welt dadurch sehr kompliziert: „Vertrauen. Ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“. So nüchtern hat es Soziologie-Bürokrat Niklas Luhmann einst auf den Punkt gebracht (Luhmann 1968).

Nun fehlt das „Zutrauen an die eigenen Erwartungen“, angesichts vielfältiger Probleme und überwältigender Möglichkeiten im modernen Informationszeitalter – Politik wie Medien erleiden ein Glaubwürdigkeitsproblem. In Zeiten allgemeiner Verunsicherung wird nun jedes bedeutende politische Thema zu einer vielschichtigen Mixtur aus Gesellschaftskritik und Medienverdruss, Systemzweifeln und Einzelproblemen.

Solange das Durcheinander herrscht, wird es schwer, sich zu verständigen. Das zeigt der Konflikt um Griechenland besonders  deutlich: Alle wollen möglichst auf ihrem jeweiligen Standpunkt beharren. Deshalb geht kaum etwas voran.

Vielleicht hat diese Krise aber auch das Potenzial, zumindest eine Bewusstseinswende einzuleiten. Medien spielen dabei die Schlüsselrolle.

Zwei aus dem gleichen Holz: Schäuble und Varoufakis

Man sollte Varoufakis weder seine Meinung noch sein Motorrad vorwerfen. Inhalt und Form sagen uns doch nur eines: Dieser Mann ist unbequem und unabhängig. Darin ähnelt er sehr seinem Antipoden Wolfgang Schäuble, wenngleich sie sich konkret nach Auffassung und Ausrüstung natürlich stark unterscheiden.

Beide Finanzminister haben lange stur darauf bestanden, sich der allgemeinen europäischen Vertuschungs-Rhetorik zu entziehen. Querköpfe. Sie stellten jeweils der anderen Seite die Systemfrage: Varoufakis wies auf die Konstruktionsprobleme von EU und Finanzwelt hin und bezweifelte deren Legitimität. Schäuble pochte auf die Einhaltung von Verabredungen, bestand also auf Legalität.

Während der Grieche das Klischee vom Schnorrer abwehrte, wollte der Deutsche sich nicht dauernd als Zins-Nazi beschimpfen lassen. Am Ende scheint Schäuble gesiegt zu haben. In einer Ortschaft namens Pyrrhus  Ein Pyrrhus-Sieg, steht zu vermuten. Denn der (Nord-Süd-) Konflikt ist keineswegs entschieden, weder politisch noch medial.

Die Griechenlandkrise ist ein ganz grundsätzliches Ringen um Regeln, Definitionen und Worte. Medien sind hier Mittler und als Mittel. Institution und Instrument.

Medienkritik: fachlich oder fundamental

Journalistische Rollen-Modelle lassen sich grob mindestens in zwei Auffassungen teilen: neutrale/r Vermittler/in und engagierte/r Anwalt/in. Was sich auf den ersten Blick gut trennen lässt, wird in der Praxis schnell unübersichtlich. Denn das Publikum verlangt im Grunde beides: Profil und professionelle Distanz.

Rein fachlich hat gerade der Nachrichtenredakteur Udo Stiehl an seiner konkreten Arbeitserfahrung die kategoriale Macht von journalistischen Floskeln wie „Rettungspaket“ herausgearbeitet. Wenn sie nicht hinterfragt werden (Wem nützt das Paket denn eigentlich tatsächlich?), dann mutieren solche Begriffe zu Vorab-Bewertungen. Was die EU-Kapitäne als Rettungsring interpretieren, wirkt auf die ertrinkende Griechen vielleicht eher wie ein Amboss.

Der selbstkritische Artikel des bloggenden Praktikers / praktizierenden Bloggers unternimmt den Versuch, Fehler zu benennen vermutlich in der Hoffnung, seinen Berufsstand – und das Publikum – zu sensibilisieren. Das Ziel wäre eine Qualitätssicherung der Vermittler-Rolle auf der alltäglichen journalistischen Ebene.

Der Medienfachjournalist Stefan Niggemeier wiederum geht stets einen Schritt weiter, ins Grundsätzliche. Ihm geht es gerade anhand des Beispiels Griechenland um die These, ob deutsche Medien einseitig manipuliert sind bzw. manipulieren. Er hat da bereits einiges zusammengetragen. Seinen Lesern wird schnell deutlich: @niggi hat einen Standpunkt, und seine Kommentatoren-Community erst recht.

Mit nachvollziehbarer Methoden-Kritik an einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Stern unterstellt Niggemeier aktuell dem Blatt  journalistische Parteinahme für die Grexit-Politik Angela Merkels und wirft vielen Medien eine ungeprüfte Übernahme des Stern-Plots vor. Es würde mal wieder voneinander abgeschrieben. Die Reaktionen der Etablierten reichen von zerknirscht bis gereizt.

Wahnsinn oder Methode?

Sprechen wir beim Thema Griechenland also eher  von professionellen Nachlässigkeiten oder gehören die Störfälle tatsächlich zum „System“? In dieser Frage haben sich inzwischen zwei Lager gebildet: ein anklagendes und ein abwehrendes. Etablierte Medien sind in der Defensive.

Und manchmal bekommen sie von allen Seiten. Roland Tichy fragt in seinem Blog: „Warum spulen ARD und ZDF ständig Syriza-Propaganda ab?“. Er bezieht sich auf die Einladungspolitik von Talkshow-Redaktionen, die  immer nur Nörgel-Griechen ins Studio bitten würden.

Tom Schimmek wiederum nimmt die Öffentlich-Rechtlichen genau gegenteilig wahr. Und fordert nach dem „medialen Versagen“ und „Griechen-Bashing“ Konsequenzen von der ARD: Keine Grexit-Brennpunkte des Bayerischen Rundfunks, Ablösung des Brüssel-Korrespondenten Rolf-Dieter Krause und sofortige Schließung des Börsenstudios.

Etablierter Mainstream und Gegenstromanlage Netz

Diese Beispiele lehren einmal mehr: schärfsten Kritiker der Elche sind oft selber welche. Schon im 19. Jahrhundert stammten die abfälligsten Urteile über den Journalismus häufig von – Journalisten. Ihr aktuelles Glaubwürdigkeitsproblem werden die Medien so schnell jedenfalls nicht los. Längst ist so etwas wie eine Beweislastumkehr eingetreten. Misstrauen breitet sich geradezu viral aus.

In dieser Diskussion hat der Begriff „Mainstream-Medien“ übrigens das Zeug zum Nachfolger von „Lügenpresse“. Gewissermaßen als stubenreine, veredelte Form pauschaler Verunglimpfung. „Mainstream“ – das ist in dieser Lesart Masse, Mittelmaß und Manipulation.

Wer dem Medien-Mainstream entkommen will, der kann auf eine Gegenstromanlage zurückgreifen: das Netz. Hier wird anders diskutiert und hier diskutieren auch andere. Aber: Wo genau aber verläuft bei der Medienkritik die Grenze zwischen Korrektur und Zensur, zwischen Kritik und Schmähung?

Und: Wie sehr taugen SPIEGEL-Titel wie der seltsame Sirtaki-Cover diese Woche als Beleg für die Einseitigkeit des Blattes? Wo doch andererseits auch Angela Merkel auf den Pott gesetzt wird?

Anderes Cover ( Quelle: Blog "Tichys Enblick")

Anderes Cover ( Quelle: Blog „Tichys Enblick“)

Vielleicht hilft ja ein kleiner unwissenschaftlicher Ausflug in die Wissenschaft.

Nichts Neues: Antigräzismus und Schweigespirale

Griechenfeindlichkeit hat eine lange Tradition, inklusive Wikipedia-Seite: Antigräzismus heißt das dann.

Menschen meiner Generation können sich außerdem gut an eine besonders ausgearbeitete Kritik-Theorie zur journalistisch manipulierten Öffentlichkeit erinnern. In der kommunikationswissenschaftlichen Wirkungsforschung nennt sie sich das „Modell der Schweigespirale“. Kurz: Klappe halten, wenn die veröffentlichte Mehrheit anders tickt als Du!

Die Theorie stammt im Wesentlichen von Elisabeth Noelle-Neumann, Spitzname: „Die Pythia vom Rhein“. Sie war die Chef-Umfragerin des Allensbacher-Institutes zu Bonn. Letzeres erhebt beispielsweise regelmäßig die Reputation von Berufsgruppen. Und ebenso regelmäßig landen Journalisten weit hinten.

Über Jahre hinweg haben sich insbesondere Mainzer Wissenschaftler bemüht, den Einfluss des angeblich überwiegenden linksliberalen Journalisten-Milieus auf Politik und Gesellschaft zu ermitteln. Dabei haben sie einerseits Indizien gefunden, andererseits kaum schlagende Beweise. Trotzdem dürften sie die Medienpolitik der Bundesrepublik durchaus beeinflusst haben. Bei der Förderung des Privat-Rundfunks und überhaupt, zur Bestätigung des Rufes nach einer  „geistig-moralischen Wende“.

Zur These von der Einseitigkeit=Linkslastigkeit der Medien gab es seinerzeit heftige Kritik und starken Beifall. Heute fallen die Reaktionen ähnlich aus, wenn beispielsweise versucht wird, den “ Einfluß von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten“ wissenschaftlich zu belegen , was der Medienwissenschaftler Uwe Krüger unter dem Titel „Meinungsmacht“ unternommen hat. Die Arbeit erhielt große Aufmerksamkeit sowie Beifall, rief aber auch das methodische Zweifel herbei.

Volk und Eliten: Herrschende Meinung

Egal, wer wem Stimmungsmache vorwirft – es lohnt sich nach dessen Bild vom Publikum zu fragen. Reicht es tatsächlich, Yanis Varoufakis Stinkefinger aus dem Archiv zu kramen oder Helmut Kohl eine „Birne“ zu nennen, damit das doofe Volk beide zu hassen beginnt? Ursache – Wirkung? Stimulus – Response? Keine mündigen Bürger/innen – nur Lämmer? Gut, alles rhetorische Fragen meinerseits. Nein, reicht wohl nicht.

Methodisch wäre die Beweisführung beliebig komplex und aufwändig. Jedenfalls würde ich mich nicht in der Lage sehen, den eben erschienenen Deutschland-Trend zu Griechenland empirisch auf das Medien-Verhalten zu beziehen. Die Meinungen der Befragten sind gespalten. Das interpretiere, weg mag. Vermutlich jeder anders.

Vielleicht geht es bei all dem weniger um reale Politik als um symbolische (Be-) Deutungshoheit. Setzen sich doch eher Eliten öffentlich auseinander. Sie unterscheiden sich fundamental in ihrer Argumentation, nicht aber im Anspruch auf Macht.

Wer hat das Sagen? Solange das nicht feststeht, tut sich in der Sache nicht viel. Nach meinem Eindruck ist das weder auf der politischen Ebene entschieden, auch wenn erst einmal der Revoluzzer Varoufakis gegen den Ordnungsfanatiker Schäuble verloren hat. Noch ist der Kampf zwischen „Altmedien“ / 4 Gewalt und „Netz“ /5. Gewalt zuende.

Schuld und Verantwortung

Hans Hütt hat für die ZEIT einen originellen Hinweis zur Griechenland-Debatte gegeben. Er argumentiert sprachgeschichtlich und weist darauf hin, dass das Wort „Schulden“ zu sehr wie moralische „Schuld“ ausgelegt würde. Das mache Griechen in aller Öffentlichkeit zu Sündern, urteile sie quasi ab.

Ist ein bisschen sehr sophisticated, aber darin liegt ein weiser Hinweis: Statt Schuld-Debatten zu führen, könnten wir von „Ursachen“ und „Verantwortung“ sprechen. Aus der Verkehrsgerichtsbarkeit liegen da gute Erfahrungen vor. Wenn es kracht, wird in der Schadensabwicklung nicht moralisiert, sondern analysiert. Und eben geregelt.

Dies würde für Journalismus und Medienöffentlichkeit allerdings bedeuten, Systemzweifel und Sachfragen auseinander zu halten. Außerdem müssten die Beteiligten häufiger der Versuchung widerstehen, voreilig zu moralisieren oder zu radikalisieren.

Abregen beim Diskutieren, so leicht fiele uns das wahrscheinlich nicht. Andererseits werden sich diese Art Debatten oft genug wiederholen, um das ausgiebig zu üben. Wandel gibt es immer nur bei Annäherung.

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  1. […] für das, was ich seit Eröffnung dieses Blogs (2013) immer stärker wahrnehme (und etwa bei dieser Gelegenheit näher beschrieben habe): Die Vermischung von Themen- und Systemfragen. Bei jedem größeren […]

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