Typische Haltung: Journalistin und Aktivistin

Journalistin attackiert Bürgermeister (Il Gazzettino)

Journalistische Arbeit und politischer Kampf in Personalunion. Kann das gut gehen? Petra Reski meint: Ja. Sie berichtet kritisch über die Verhältnisse in Venedig und bewirbt sich gleichzeitig als Kandidatin  bei den dortigen Kommunalwahlen. Das gab Ärger. Typisch.

Ob sich Faktentreue und Engagement, also sachliches Berichten und Einsatz für die gute Sache vereinbaren lassen, ist die journalistische Haltungsfrage schlechthin. In der üblichen Polarisierung sieht das so aus: „Objektivität gibt es nicht“, sagen die einen, „Aktivismus ist Propaganda“ die anderen. In dieser kategorialen Absolutheit ist beides unwahr, oder besser: lebensfremd. Spannend wird es stets zwischen den Polen, also in der integrativen Betrachtung der Realität. Es geht gerade heute oft weniger um „Journalismus ODER Aktivismus“ als vielmehr um „Journalismus UND Aktivismus“. Eine harmonische Beziehung muss Letzteres allerdings nicht ergeben.

Aus vielen empirischen Studien wissen wir natürlich: Sowohl die Journalist/-innen als auch ihr Publikum legen tatsächlich den größten Wert auf die so genannte Objektivitätsnorm. Sagen, was ist. Auf der anderen Seite belehrt uns die wissenschaftliche Theorie dann wieder sehr schlüssig darüber, dass dieses Versprechen makellos nicht zu erfüllen ist. Anspruch und Wirklichkeit stehen hier in einer Wechselbeziehung, die wir uns ständig neu klar machen müssen.

Dies lässt sich am Beispiel von Petra Reski sehr gut nachvollziehen. Als investigativ orientierte Journalistin kann sie sich in Fakten verbeissen, etwa beim Thema Mafia. Und dabei kommt sie um eine Bewertung des Erfahrenen nicht herum. Also bezieht sie Stellung. Dafür musste sie schon einiges aushalten. Wenn es schlecht läuft, steht die Autorin als rechtlich kaum abgesicherte Einzelkämpferin dar, wenn beispielsweise ein medialer Auftraggeber  wie Jacob Augstein keinen Schutzschirm spannen will.

Sobald es um die großen Fragen der Welt und den Wandel in ihrer öffentlichen Vermittlung geht, befinden sich Venedig und  befindet sich diese Autorin oft in der Schnittmenge meines Medienmeta-Interesses. Wobei ich Frau Reski nicht persönlich kenne, sondern nur via Social Media, in dem sie offen und gerade kommuniziert. Für ihre inhaltlichen Positionen zum nachhaltigen Tourismus hege ich einige Sympathie und für ihren Wohnsitz sowieso. Soviel als Tranparenzhinweis. Tranzparenz wird gleich noch sehr wichtig.

Der konkrete Fall ist komplex und spielt teilweise auf Italienisch.

Petra Reski hatte für die Frankfurter Allgemeine Zeitung über die Perspektiven Venedigs „in Zeiten von Corona“ geschreiben. Aus meiner bescheidenen Kenntnis heraus ein kompetenter Artikel. Der parteilose Bürgermeister Luige Brugnaro kam dabei allerdings recht schlecht weg, insbesondere wegen seines Festhaltens an touristischer Mono-Massenkultur, Interessenskollisionen und Ignoranz gegenüber den Intersessen der Altstadtvenezianischen Stadtbevölkerung. Am Ende des Artikels erscheint aber doch noch eine neue, rettende Lichtgestalt:

Jetzt aber gibt es eine Bürgerliste, die diesen Namen verdient, weil sie aus Personen besteht, die keine Parteizugehörigkeit haben: „Terra e Acqua2020 ist der neuartige Versuch eines Zusammenschlusses wichtiger Personen der Zivilgesellschaft und der Bürgerinitiativen, die seit langem für die Bewohner kämpfen, wie Gruppo25aprile, Noi per Venezia oder SÌAmoVenezia“, sagt der Gründer Marco Gasparinetti, ein Jurist, der sich seit Jahren schlagkräftig für die Belange der Venezianer einsetzt

Der FAZ-Artikel erschien zudem in einer Übersetzung auch auf dem italienischen Online-Portal ytali. Darüber ärgerte sich der Bürgermeister und in der Lokalzeitung Il Gazzettino erschien ein Artikel über die „Attacke“ der deutschen Journalisten mit Wohnsitz Venedig auf ihren Bürgermeister. Zentraler Kritikpunkt: Es sei er Leser/-innenschaft nicht klargemacht worden, dass Reski gleichzeitig für die Liste terra e aqua bei den Kommunalwahlen antritt.

Daraufhin ging auch das Medium ytali auf Distanz. In einer nachgereichten „Vorbemerkung“ bemängelte deren Direktor, dass seine Redaktion nichts vom Kandidatinnen-Status der Autorin gewusst hätte, als Reski den Text bei ihnen eingereicht habe. Diese fühlte sich daraufhin von ytali beleidigt und zog den Online-Artikel ganz zurück. Das wiederum legten venezianische Lokalmedien so aus, als hätte die FAZ den Artikel gelöscht. Un Casino.

Denn der Bürgermeister hatte sich wütend, ja fast drohend an die FAZ gewandt. Im Blatt ist inzwischen ein Brief Brugnaros an die Herausgeber erschienen. Eine Gegen-Attacke:

Wir haben harte Monate hinter uns: im vorigen Jahr das Hochwasser, dann die Pandemie. Dennoch haben wir nie unseren unerschütterlichen Geist verloren und nie aufgehört, die Ehre der Stadt vor denen zu verteidigen, dieaus persönlichen oder wahltaktischen Gründen, angesichts der bevorstehenden Kommunalwahlen, unwahre Geschichten erzählen. Ich werde immer dafür kämpfen, die Meinungsfreiheit zu garantieren, aber mit gleicher Entschlossenheit werde ich jeden bekämpfen, der dem Ruf Venedigs schaden will, so wie es im Beitrag „Kämpferische Töne im Ort“ von Petra Reski (F.A.Z.-Reiseblatt vom 16. Juli) geschehen ist.

Nach der – für mich glaubwürdigen – Darstellung der Autorin hatte sie ihre Kandidatur in der ursprünglichen Fassung des FAZ-Artikels als Transparenzhinweis beigefügt. Dieser wurde dann ohne Wissen von Reski redaktionell gestrichen. Warum, das ist eine ganz entscheidende, aber für mich bislang unbeantwortete Frage.

Aus ihrer Kandidatur an sich hatte Reski ohnehin sozialmedial nie einen Hehl gemacht. Was aber das Online-Portal ytali nicht als Argument gelten lässt. In einer weiteren Stellungnahme wirft es der Autorin erneut Intransparenz vor und:

Un evidente caso di conflitto d’interessi.

Das hört sich auf Italienisch sehr schön an, heißt aber nichts anderes als: Interessenskonflikt. So verwirrend kann die Medienwelt werden: Das eher linke Internetmedium argumentiert ähnlich wie der klar rechtsorientierte Unternehmer-Bürgermeister. Reskis Engagement geht beiden zu weit. Dagegen nennt das das Blatt Il Fatto Quottidiano das Ganze einen „Sturm im Wasserglas“ und macht sich über die leicht irrlichternde venizianische Lokalpresse lustig.

Bis zu den Wahlen im September dürften sich die Wogen – oder Wöglein – geglättet haben. Ob die alternative Liste terra e aqua dann politische Macht erlangt hat, erscheint nicht übermässig wahrscheinlich. Dafür sind die Interessenslagen – etwa zwischen Lagunen- und Festlandsbewohnern – zu unterschiedlich. Was schade ist, in dieser historisch entscheidenden Situation. (Das Problem habe ich hier persönlich beschrieben. Viele Denkansätze zur Lösung lassen sich dort nachlesen.)

Andererseits: Ich vermute, dass Massentourismus auf absehbare Zeit „mangels Masse“ so nicht wieder zurückkehren dürfte. Es müssen Alternativen zum Alten Normal entwickelt werden. Wie auch immer – aus medienmeta Sicht bringt dieser tempesta in un bicchier d’acqua zentrale Probleme journalistischer Haltung auf den Punkt:

  1. Die Rollenparadoxie des Beobachtens und Bewertens ist grundsätzlich ebenso heikel wie unvermeidbar.
  2. Ein Nebeneinander von Objektivität und Aktivismus kann zu einem Streit führen, bei dem das eigentliche Thema in den Hintergrund gerät.
  3. Autor/-innen und Redaktionen müssen sich daher bei solchen Themen vor Veröffentlichung extrem genau abgleichen.
  4. Die Medienseite sollte außerdem mit den Reaktionen der Objekte der Berichterstattung rechnen.
  5. Vor allem hat das Publikum einen Anspruch auf Offenlegung des Kontextes durch die Beteiligten.
  6. Transarenz wird den Zielkonflikt zwar nachvollziehbar machen, aber nicht lösen.

Um noch einmal auf die Eingangsfrage zurückzukommen (Journalistische Arbeit und politischer Kampf in Personalunion. Kann das gut gehen?): Das Fallbeispiel Petra Reski bringt journalistische Rollenkonflikte besonders deutlich auf den Punkt. Zu einen ist die Autorin fachlich beschlagen, ob bei Mafiathemen oder Zukunftsfragen Venedigs. Sie neigt zum anderen zu einer kompromisslosen Positionierung. Das liegt im Trend der Zeit.

Es reicht jedoch nicht, Reskis „Haltungsanteil“ zu beschreiben. Medial geht die Rechnung erst auf, wenn die Objekte der Berichterstattung die Autorin nicht erfolgreich delegitmieren, die Medienplattformen sie stützen und das Publikum schließlich ihr Rollenmodell akzeptiert. Ob sich also eine publizistische Einstellung als Journalistische Haltung durchsetzt, ist weder eine reine Frage der Fakten noch der Moral, sondern der Akzeptanz.

Wie immer bei polarisierenden Themen – es bleibt spannend.

 

 

Kommentare

  1. Danke für diese erschöpfende Darstellung des Sturms im venezianischen Wasserglas. Was das Thema „Transparenz in den Medien“ betrifft, so gäbe es dazu einiges zu sagen, etwa die mangelnde Offenlegung von Parteibüchern, Sponsoren etc.pp. Darunter fiele auch die Kleinigkeit, dass der Chefredakteur von Ytali Sprecher von Paolo Costa war, des PD-Bürgermeisters von Venedig, was seine gewisse Vertrautheit zum PD-Ambiente der Stadt erklärt, die in meinem Artikel mindestens ebenso schlecht wegkommt wie Brugnaro. Dass mit dem Online-Portal Ytali ein kurioses Geschäftsmodell betrieben wird, das unter anderem darin besteht, keine Honorare für die Beiträge zu zahlen, ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass der Chefredakteur von Ytali offenbar weder fernsieht, noch die Lokalpresse liest, wo über meine Kandidatur wiederholt berichtet wurde, und auch die Social Media ignoriert, in denen ich selbige auf allen mir verfügbaren Kanälen bekannt gegeben habe, was für einen venezianischen Journalisten einigermaßen verwunderlich ist. Ansonsten habe ich nicht erwartet, von Brugnaro für meinen Artikel gelobt zu werden, wer meine Venedig-Artikel kennt, weiß, dass die Bürgermeister der letzten drei Jahrzehnte dabei schlecht wegkommen, wofür ich zuvor auch bereits von Brugnaros Vorgänger Orsoni gerügt wurde (Orsoni wurde 2014 im Zuge der Korruptionsskandals um die Hochwasserschleuse Mose verhaftet – seine Vergehen gelten, wie in Italien üblich, am Ende des jahrelangen Prozesses teils als verjährt, teils als erlassen.) Dass Brugnaro dann einen Leserbrief an die FAZ schickte, ist sein gutes Recht, wie es auch das gute Recht der FAZ ist, diesen Leserbrief in erheblich gekürzter Fassung zu veröffentlichen. Womit sich die FAZ übrigens anders verhielt, als das Online-Portal Ytali, das den Bürgermeisterbrief eilfertig in voller Länge veröffentlichte, und damit wieder klar machte, dass das große Übel Venedigs darin besteht, von einer heimlichen großen Koalition regiert zu werden, die von den Italienern als „inciucio“, das große Kuscheln, geschmäht wird – die vermeintliche Opposition also keine ist. Wie ich auch hier https://petrareski.com/2020/08/09/leben-in-venedig-3/ aufgeführt habe, halte ich mich als Journalistin an die Fakten. Da Brugnaro den in meinem Artikel aufgezählten Fakten nicht widersprechen kann, versucht er meine Arbeit ohne jeden Beleg mit dem Vorwurf zu diffamieren, „unwahre Geschichten“ zu erzählen. Ich hätte gerne gewusst, was denn „unwahr“ daran ist, dass er den Ausverkauf Venedigs im Vergleich zu seinen Vorgängern noch verschärft vorangetrieben und dabei eigene Interessen verfolgt hat: den Kauf der Insel Poveglia, die gewinnträchtigen Events in seiner Scuola della Misericordia und nicht zuletzt den Verkauf seines 40 Hektar großen Areals in Marghera. Dass ich mich auf die kleine venezianische Bürgerliste „Terra e Acqua 2020“ setzen ließ, ist lediglich der logische Schluss meines Engagements gegenüber meiner Heimatstadt, in der ich seit 30 Jahren zu Hause bin. Den Wahlkampf betrachte ich als Teil meiner lebenslangen anthropologischen Feldforschung. Ach ja, eines noch, Sie mögen es mir nachsehen: Venedig ist keine „Altstadt“. Venedig ist Venedig. Herzlichst, Ihre Petra Reski

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