Krautreporter: Modell versus Geschäft

Versuchmachtklug (KaterBegemot/CC BY-SA 3.0)

Versuchmachtklug (KaterBegemot/CC BY-SA 3.0)

Der Journalismus ist nicht zu retten, aber auch nicht totzukriegen. Allein wegen dieser einfachen Erkenntnis könnte sich ein Jahr Krautreporter bereits gelohnt haben. Allerdings eher für medienanalytische Trittbrettfahrer wie mich, weniger für die Betreiber des unabhängigen Reportagemagazins selbst. Die kämpfen weiter ums Überleben im Journalismus-Darwinismus, müssen aus einem verdienstvollen Modell ein nachhaltiges Geschäft machen.

Freitags um „Viertel vor Feierabend“ höre ich oft den gleichnamigen Abonnenten-Podcast der „Krautreporter“. Recht oft tun sie mir dann leid. Nicht wegen des verhandelten Inhalts, transparenten Einblicken in die Redaktionsarbeit. Nein, es sind diese erschöpften Stimmen. Offenbar müde vom Versuch, Wort zu halten und gleichzeitig wirtschaftlich zu überleben.

Zum Zwecke des Fortexistierens will das Team um Chefredakteur Alexander von Streit und die Geschäftsführer Sebastian Esser und Philipp Schwörbel jetzt verbindlichere Strukturen. Man möchte eine Genossenschaft zusammentrommeln sowie den Krautergarten mit einer Paywall umfrieden: Artikel bekämen künftig nur noch Abonnenten zu lesen.

Allerdings können Community-Mitglieder selbst KR-Beiträge an Dritte weiterleiten. Trotzdem ist dieses Konzept umstritten, denn Krautreporter woll(t)en mehr sein als eine x-beliebige Medienmarke, nämlich eine Gemeinde, die Sinn stiftet: einen neuen Onlinejournalismus – unabhängig, relevant, nutzerorientiert, experimentell. Und offen.

Ein Jahr nach dem Aufsehen erregenden Start haben Teile der Community den Glauben an diese weitreichende Heilsbotschaft verloren. Zwei Drittel der Förderer aus der erfolgreichen Crowdfunding-Kampangne sind wieder weg. Ein Ex-Interner nennt KR jetzt sogar eine „Sekte“. Und ein Externer Skeptiker stellt  fest, sie seien in der Nische der Irrelavanz gelandet.

Neben der Kultur des Scheiterns gibt es auch eine Unkultur des vorzeitigen Scheiternlassens.Übrigens von Beginn an.

Dass Abgesänge verfrüht sind, ergibt sich für mich aus den Antworten auf drei Fragen zum richtigen Zeitpunkt:

1. Wann ist ein Experiment gescheitert?

Daneben gegangen ist ein Experiment, wenn es keine Erkenntnisse zum Untersuchungsgegenstand erbracht hat. Davon kann hier gerade wegen der kontroversen Diskussionen wohl kaum die Rede sein. Das Projekt ist ein exemplarischer Ort für die Analyse des digitalen Medienwandels und seiner Folgen für die Herstellung von Öffentlichkeit für anspruchsvollen Inhalt.

KR haben dabei einiges gewagt, wenn auch nicht alles gewonnen. Das Projekt bietet anständigen Lese- und Diskussionsstoff, konnte manche hehren Versprechen einlösen, aber trotzdem  nicht jede/n überzeugen. Ein grundsätzlicbes Problem der Untersuchungsanlage besteht vor allem in den unscharfen Maßstäben, um die Ergebnisse in zentralen Fragestellungen überhaupt zu messen:

Was ist eine gute Geschichte? Wie weit geht Beteiligungskultur? Welche Kriterien müssen für die Technik erfüllt werden? Wie erreicht man unabhängige Finanzierung? Darüber wird die Community noch in hundert Jahren diskutieren müssen.

Statt mit einem schlüsselfertigen Rettungsmodell des Online-Journalismus haben wir es in Wahrheit mit einem Dauer-Experiment zu tun, mit „permanent beta„, ganz im Stil der jungen Zeit. Spannend, inspirierend, frustrierend, verunsichernd, verdienstvoll.

Aber doch wenig lukrativ. Obwohl KR beispielsweise für Menschen wie mich ein unbezahlbares Anschauungsojekt für Medienwandelforschung ist (hier, hier oder hier), ist der wirtschaftliche Überlebenskampf hart. Erkenntnisgewinn bedeutet noch lange kein Einkommen. Was zur nächsten Frage führt:

2. Wann ist ein Geschäftsmodell gescheitert?

Zunächst die Antwort, die auf der Hand liegt: Wenn es absehbar nicht gelingen kann, Aufwand und Ertrag in ein auskömmliches Verhältnis zu bewegen. Im Falle der KR trifft das noch nicht zu. Das Startup steht schlicht vor einer weiteren, allerdings entscheidenden Phase. Wie bei allen Unternehmensgründungen, ist die Nachhaltigkeit das dickste Brett.

2014 hatten die Gründer per Crowdfunding mit medialem Schwung ein Startkapital von 1 Mio. €  errungen. Möglicherweise war dabei vielen Community-Mitgliedern nicht ganz klar, ob sie hier einen offenen Prozess Geld spendiert oder einfach die Subskription auf ein konkretes Produkt gezeichnet hatten. Jedenfalls sind die Mittel bald aufgebraucht.

Nun haben die Krautreporter überlegt, wie sie die Existenz der Unternehmung künftig sichern können. Ihr Business wollen sie mit einer Paywall, einer Bezahlschranke, absichern. Zudem soll eine Genossenschaft mit 400 Mitgliedern Investitionskapital mobilisieren, u. a. für eine eigene Crowdfunding Plattform.

Wirtschaftlich existieren ist das eine, publizistisch Wirken das andere. Frage Nummer drei:

3. Wann ist ein journalistisches Angebot gescheitert?

Im Zweifel immer. Oder nie. Das liegt an der Unmöglichkeit, Journalismus allgemein verbindlich zu definieren. Bewertet werden Produkte wie KR stattdessen entweder subjektiv oder statistisch. Also nach persönlichem Geschmack oder nach Quote. Im ersteren Fall ist Relevanz, was gefällt und im letzteren das, was man zählen kann.

Inhaltlich werfen die Krautreporter oft einen anderen, und immer einen tieferen Blick auf  Themen, die die Gesellschaft bewegen. Aktuell und lesenswert: „Balkanroute„. Ein Enthüllungsmagazin ist so nicht entstanden. KR bleibt vielmehr auf eine Zielgruppe angewiesen, die sich Zeit nimmt. Die vertraut. Die Geduld hat. Darin liegt die wirkliche Ambition des Projektes: Gelesen werden in Zeiten  einer digitalen Text-Explosion.

Der andere Clou, die Beteiligungsmöglichkeiten für Mitglieder, nimmt einigen Raum ein. (Und ich vermute darüber hinaus: Er ist personell recht aufwändig.) Allerdings fällt auf, dass sich die Kommunikation in der Gemeinde sich auf einen kleinen, harten Kern zu beschränken scheint. Wie in jeder andern Gemeinschaft auch.

Die große Aufmerksamkeit in der Branche für Krautreporter dürfte sich in der allgemeinen Öffentlichkeit kaum so reproduzieren lassen. KR wird wohl weniger als publizistisches Medium wahrgenommen denn als Übungsfirma oder Entwicklungsredaktion. Eine wichtige öffentliche Aufgabe, aber keine massenattaktive.

Versprochen ist Versprochen

Zum Schluss eine Zusatzfrage: Haben die KR zu viel versprochen und zu wenig gehalten?

Wer sich an die vollmundigen Formulierungen der Einführungs-Kampangne rechtsverbindlich klammert, der verhält sich naiv gegenüber der aktuellen Startup-Pitching-Kultur. Die gilt auch im  medialen Crowdfunding und fordert von den Antrag Stellenden im Grunde stets zu belegen, dass ihre Idee zumindest größere Teile der Welt sofort retten wird.

Man könnte die Frage auch umdrehen: Hat sich die Community zu viel versprochen, oder gar: zu wenig beigetragen?

An der Schwelle zum zweiten Jahr geht es um Verbindlichkeit. Nur wenn sich genug Genossen mit Geld engagieren und genug Abonnenten finanziell committen, geht es nachhaltig weiter. Das kann funkitionieren, wird immer eine knappe Nummer bleiben, so lange weder Wirtschaft (Werbung) noch Staat (Förderung) Geld dazu geben sollen.

Das Projekt Krautreporter bietet für jeden Medien-Interessierten eine schöne Gelegenheit, über das Verhältnis von Gemeinwohl und Eigennutz nachzudenken. Das hat schwer Konjunktur, meine ich.

 

Kommentare

  1. Danke für die aktuelle, fschkundige und informative #Kraut-(Nach)Lese von Dirk Hansen! 😉 26.9.2015 Stephan Fröhder > Thema krautreporter 2014/15 <

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